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Seit 2017 wird Ein Volksfeind unter der Regie von Jette Steckel am Burgtheater gespielt. Und seit Monaten beschimpft Joachim Meyerhoff regelmäßig das Publikum des Burgtheaters.

Gegen Ende von Ein Volksfeind fällt ein Lichtkegel auf einen zufälligen Besucher und der Schauspieler greift denselben von der Bühne herab an. Meyerhoff fragt, wie oft er in letzter Zeit geflogen sei und welches Auto er fahre. Setzt sich der Zuschauer zur Wehr, gibt es kein Erbarmen: Meyerhoff fordert den Saal dazu auf, aufzustehen und sich umzudrehen. Der Saal folgt. Dreht sich die angegriffene Person auch um, stellt sie Meyerhoff als Mitläufer bloß. Jette Steckels Ibsen-Inszenierung ist gleichzeitig einschläfernd banal und anmaßend kämpferisch: ein gutes Beispiel für ein geistloses Regiekonzept.

Henrik Ibsens 1882 uraufgeführtes Stück Ein Volksfeind ist aktueller denn je. Im Zentrum steht ein Konflikt zwischen Umwelt und Kapitalismus. Der Protagonist Dr. Thomas Stockmann arbeitet als Arzt in einem Kurbad. Er stellt fest, dass das Grundwasser von der Gerberei seines Schwiegervaters verseucht wird und das Kurbad betroffen sein könnte. Sollte dem so sein, wäre der Kuraufenthalt lebensgefährlich. Der Arzt konfrontiert sowohl seinen Arbeitgeber, wie auch den Bürgermeister, stößt aber auf taube Ohren. Das Kurbad soll trotz des Risikos, Besucher zu vergiften, geöffnet bleiben. Auch der reiche Schwiegervater zeigt sich nicht einsichtig und droht mit Anzeige, sollten Vorwürfe gegen seine Gerberei publik werden. Der Protagonist beschließt, zu kämpfen. Bereits im 19. Jahrhundert wurde verstanden, dass jemand, der sich für die Umwelt einsetzt, schlussendlich auch für seine Gegner kämpft: daraus ergibt sich eine im Drama seltene Konfliktsituation. So führt der Arzt einen Kampf gegen Arbeitgeber, Gemeinde und Familie und gleichzeitig für dieselben. Denn, sollte sich seine Annahme als richtig erweisen, wären alle von der Katastrophe betroffen. So ist Dr. Stockmann wohl einer der eindeutigsten Protagonisten im Drama überhaupt. Sein Handeln scheint berechtigt und selbstlos. Inszeniert kann sich Ein Volksfeind dazu eignen, Umweltaktivismus zu unterstützen. Eben das versucht Jette Steckel mit ihrer Regie, scheitert aber kläglich. Sie scheint davon auszugehen, mit dem populären Thema Umweltschutz wenig falsch machen zu können. Aber gerade populäre Themen müssen mit besonderer Sorgfalt aufbereitet werden, um nicht dem eigenen Standpunkt entgegen zu arbeiten. Jette Steckel schafft ein regielich miserables und teilweise anmaßendes Bühnenwerk und zeigt es repräsentativ für Umweltaktivismus. Sie tut umweltverachtenden Kapitalisten einen Gefallen.

Kein Lob

Über 130 Minuten der Vorstellung gibt es nichts Gutes zu sagen. Zu den übrigen 10 muss ein ernstes Wort gesprochen werden. Die meiste Zeit ist die Aufführung statisch. Es passieren fast keine motivierten Handlungen. Die Regie empfindet es als wichtiger, weite Strecken mit laienhaftem Humor auszufüllen. Jette Steckel versucht lustig zu sein, indem sie einen Charakter laut Scheiße sagen lässt. Immer wieder stolpert jemand. Man fragt sich: Wird das Burgtheaterpublikum mit einer Hauptschulklasse verwechselt? Der augenfälligste Regieeinfall ist das Bühnenbild. Riesige Gartenzwerge stehen herum oder werden vor- oder zurückgeschoben. Wahrscheinlich sollen sie eine Metapher für die Gesellschaft sein. Es bleibt allerdings unklar, warum genau Gartenzwerge auf der Bühne sind –sie haben überhaupt nichts mit der Handlung zu tun. Eine zweite Metapher lässt wundern: Ein paar der Charaktere fahren auf Schlittschuhen. Der Bürgermeister führt in der zweiten Spielhälfte einen sehr aufwendig choreographierten Eiskunstlauf vor. Offen bleibt, warum? Ungeklärt bleibt auch, warum in der zweiten Spielhälfte ein Piano mitsamt Spieler auf der Bühne steht. Und, vor allem, warum Joachim Meyerhoff einen Zuseher mobbt.

Handke tat es anders

Publikumsbeschimpfungen sind bereits erfolgreich verwendet worden – als das im Theater wahrscheinlich wildeste und einprägsamste mögliche Stilmittel, eine Botschaft zu vermitteln. Eine Publikumsbeschimpfung vergisst man nicht. Wer es wagt, mit so schweren Geschützen aufzufahren, muss sich deren Sprengkraft bewusst sein und sich die Frage stellen: Was, wenn der Schuss nach hinten losgeht? Jette Steckels Kanonenschuss trifft ihre eigenen Reihen. Meyerhoff beschimpft nicht das ganze Publikum, sondern stellt eine einzige Person bloß. Dadurch solidarisiert man sich als Zuseher emotional mit dem Opfer und somit gegen Meyerhoff, gegen die Bühne. Im Anschluss redet Meyerhoff davon, dass wir uns zusammenschließen müssen, um etwas für die Umwelt zu tun. Selbst wenn wir prinzipiell seiner Meinung sind, sind wir situationsbedingt augenblicklich gegen ihn und lehnen seine Ideen ab. Jette Steckels Regie schadet der Sache, für die sie sich einzusetzen versucht.

Schlusswort

Es ist gut, dass die Inszenierung nicht mehr lange gespielt wird. Sie leckt nicht nur konzeptuell und schadet der eigenen Sache. Es ist auch zwischenmenschlich sehr fraglich, eine einzelne Person vor dem ganzen Burgtheater bloßzustellen. Im Erwachsenenleben zählt der Wille nicht fürs Werk. Jette Steckel sollte den guten Willen bei ihrer nächsten Inszenierung nicht vorschieben, um ein laienhaftes Konzept auf die Bühne zu bringen.

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