Der Kulturverein Retarded Journey ist eine in Wien ansässige Plattform für KünstlerInnen aller Sparten. Die Grundidee ist es, kreative Menschen in einem sozialen Netzwerk zu vereinen und sich gegenseitig bei der Realisierung von Projekten (z.B. Konzerte, Vernissagen) zu unterstützen. Shorty, seines Zeichens Gründer und Obmann des 2014 gegründeten Vereins, gab uns einen Einblick hinter die Kulissen von RJ. Er erzählte uns im Interview, wie die Reise bis jetzt verlief und wohin sie noch gehen soll.
Retarded Journey
Am Anfang stand die Musik im Mittelpunkt der Idee. Danach kamen rasch viele andere Bereiche hinzu: Foto- und Videokunst, Malerei, Theater, Poetry und Kunsthandwerke. Der Kulturverein Retarded Journey (kurz: RJ) wurde 2014 ins Leben gerufen und zählt derzeit 16 aktive Vereinsmitglieder, die auch selber künstlerisch bzw. in kreativen Branchen tätig sind. Shorty, der Obmann des Vereins, ist gelernter Schlosser und im Burgenland aufgewachsen, ehe er in Wien seine Zelte aufschlug. Hier schloss er eine SAE Tontechnik Ausbildung ab und investierte viel Zeit in sein Herzensprojekt. Für das Vereinsleben leistet jedes Mitglied inzwischen einen wertvollen Beitrag.
Größere Veranstaltungen fanden vor Corona im Stadtteil St. Marx statt: entweder im befreundeten Lokal The Nice Guys, das über einen großzügigen Gastgarten mit Bühne verfügt, oder gegenüber am vereinseigenen Pachtgrund als Open Air. Die gut besuchte Veranstaltungsreihe Gönn Dir Open Stage, die ursprünglich als Wohnzimmer-Konzert konzipiert war und zeitweise auch im The Loft ein Zuhause fand, findet hier für gewöhnlich statt.
Das neue Vereinslokal Fluffy’s wurde pünktlich zum ersten Lockdown bzw. im Februar 2020 eröffnet, weshalb die Location noch nicht beworben wurde. Vernissagen, Quiz-Abende, Meetings oder auch kleinere Feierlichkeiten sind für die Zukunft angedacht. Im ersten Raum befindet sich eine kleine Siebdruck-Werkstatt und im hinteren Bereich sozusagen das Wohnzimmer, wo man auf Wunsch auch mit Getränken versorgt wird. Hier erzählt uns Shorty, worum es bei RJ geht und wie sich der Verein entwickelt hat.
Warum ist eure Journey “retarded”?
Per Definition ist retarded ja verzögert. Ich bin ein Mensch, der gerne polarisiert und mit diesem Namen wusste ich, dass es mal zur Sprache kommen wird. Der Punkt ist, wenn bei uns immer alles glattlaufen würde, dann wären wir Organized Journey. Wir brauchen halt oft mehrere Anläufe bis es so hinhaut, wie wir uns das vorstellen. Bis zur Umsetzung braucht es oft etwas länger, die Ideen sind aber da.
Ihr unterstützt aufstrebende KünstlerInnen verschiedenster Disziplinen. Wie gut konntet ihr dieser Mission während Corona nachgehen?
Erstaunlich gut, weil wir uns in dieser Zeit auch neu aufstellen und organisieren konnten. In der Zeit, als es gelockert wurde, gab es die neue Veranstaltungsreihe “Saturday Nice Fever” im The Nice Guys. Da hatten wir beispielsweise Art@Tech on Board. Vier Talente der Malerei sind dort live ihrer Kunst nachgegangen, während DJs die Stimmung mit ihrem Sounde angeheizt haben. Die Live-Kunstwerke wurde dann auch verkauft. Wir hatten auch mal ein Improtheater zu Gast und ein Kurzfilmevent. Prinzipiell konnten wir sie also auch in dieser Zeit gut unterstützen, allerdings hauptsächlich in digitaler Form, wie zum durch Beispiel Live-Stream-Sets oder Social-Media-Präsenz.
Wie läuft die Arbeitsaufteilung? Wie gut funktioniert bei euch der Workflow?
Da ist letztes Jahr viel weitergegangen. Zuvor hatten wir eher ein Chaos: Wer was machen wollte, der hat was gemacht. Jetzt haben wir funktionierende Teams: Social Media-Team, Redaktionsteam, Veranstalter-Team, Technikteam, Organisationsteam. Das gesamte Team also einfach in Gruppen unterteilt. Es wird dadurch nicht jeder mit allen Informationen überschwemmt, da zum Beispiel einen bildnerischen Künstler der technische Aufbau eines Events nicht interessiert.
Letztes Jahr hatten wir noch 27 Mitglieder. Wir haben da reduziert, weil manche gekommen sind und gesagt haben: “Ich bin Musiker und ihr macht’s den Rest”, also uns zum Beispiel die Management- oder Produktionsarbeit aufgedrängt. Das ist aber nicht möglich, weil wir ehrenamtlich arbeiten. Darum gilt es immer vorab abzuklären, was die Intention ist: Möchte man auf das Netzwerk zurückgreifen, kein Problem. Möchte jemand Vereinsmitglied sein? Dann aber auch mal Bierbank und Musikanlage aufstellen, wenn Not am Mann ist.
Wie viel Zeit investierst du als Obman in den Verein?
Ich mach nix anderes. Das klingt immer so hochgestochen, aber für mich ist das definitiv mein Lebenswerk. Weil mitnehmen kann ich nix, aber was dalassen, wenn ein bis zwei Generationen noch was davon haben. Ich investiere also 100% meiner Zeit. Die anderen arbeiten oder sind Studierende. Das Zeitinvestment der einzelnen Vereinsmitglieder passt aber super. In den letzten sechs Monaten haben wir sehr viel weitergebracht. Ich könnte nebenbei auch einen Brotjob machen und mehr Geld haben. Aber dann würde sich nix bewegen, wo mein Herzblut drin steckt. Und wenn’s nicht hinhaut, dann hab ich zumindest eine verdammt gute Zeit gehabt.
Wie finanziert sich Retarded Journey?
Man ist als Verein berechtigt, 72 Stunden im Jahr als Vereinsveranstaltung zu nutzen, um das Budget durch Einnahmen etwas zu stärken. Dadurch kommen auch Geld- und Sachspenden rein, die uns das Bestehen etwas erleichtern. Außerdem durch die ehrenamtliche Vernetzungsarbeit. Wir arbeiten mit Spendenempfehlungen, weil wir als Verein keine Fixpreise verlangen dürfen. Freie Spende für Eintritte also. Wir organisieren alles selber und erledigen die Aufgaben meistens hausintern. Außerdem finanziert sich das ganze auch durch Mitgliedsbeiträge (€10 pro Monat).
Wie möchtest du, dass RJ in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird?
Als ziemlich variationsreicher Haufen. Ich möchte gerne, dass wir wahrgenommen werden als Anlaufstelle für Menschen jeglicher Hautfarbe, jeglichen Religionsbekenntnisses, sofern von der breiten Masse des Vereins vertretbar, also keine Extreme. Also als Anlaufstelle für kreative Menschen, die sich gern mit anderen vernetzen. Wer offen und bereit ist, in einer Community mitzumachen ist hier an der richtigen Adresse. Dann haben wir ja auch mehr Angebot für die Öffentlichkeit. Durch Gönn Dir Open Stage sind wir auch mit Leuten aus dem Poetry Slam-Bereich in Kontakt gekommen. Die sind sehr gut auf ihrem Gebiet und veröffentlichen bei uns regelmäßig Texte.
Wo siehst du das Verhältnis zwischen: alles machen wollen und verschiedene Felder beackern oder sich spezialisieren?
Das kann sehr herausfordernd sein, mit einem Arsch auf zehn Kirchtagen zu tanzen. Es kristallisieren sich aber immer Leute heraus, die auf einem Gebiet gut bewandert sind. Dann bleibt es eine Frage des Delegierens. Aber ich mag mich da gar nicht einschränken. Ich möchte, dass die Leute eine richtig große Überraschungskiste haben, wo sie sagen, ah das haben sie, das haben sie auch noch, und das auch noch etc. Ein Drum’n’Bass oder Techno Dj hat bei uns genauso Platz wie auch eine Metal Band.
Welche Highlights oder schwierigen Momente hattet ihr in den letzten Jahren?
Es gibt öfters den Punkt, mindestens jedes halbe Jahr, wo ich alles hinhauen möchte. Tatsächlich wegen dem großen Input, weil ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Aber meist ist das nur im Affekt. Aber einmal war es ernsthaft, als wir bei einem Projekt hinsichtlich Zeit und Geld geprellt wurden.
Die Highlights waren und sind jedes Mitglied von Retarded Journey. Die Art und Weise, wie wir uns gefunden haben. Ich hab viele coole Leute kennengelernt, die mittlerweile Freunde und Family sind, und die ich nicht mehr missen möchte. Der Weg per se ist ein Highlight, wenn man schaut, wo wir gestartet sind und was inzwischen alles passiert ist. Auch das viele Herumkommen, denn es hat mir auch sehr viel ermöglicht, beispielsweise Bandtouren. Ein Freund von mir, mit dem wir regelmäßig in Kontakt stehen, ist beispielsweise Jared Hasselhof von der Bloodhound Gang.
Wo siehst du RJ idealerweise in 5 Jahren?
Idealerweise als Dreh- und Angelpunkt der österreichischen Kunst- und Kulturszene, abseits von der geldgiergetriebenen Industrie. Ich will mich nicht mit den Big Playern messen, aber in fünf Jahren würde ich gern als Kollektiv wahrgenommen werden, wo die Leute sagen: Du kannst was, du hast was, geh dorthin, die können dir weiterhelfen, auch wenn es nur um Kontakte geht. So seh’ ich uns definitiv in 5 Jahren.