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Die deutsche Autorenfilmerin Maren Ade beehrte am 28.3.2019 den FC Gloria Kinosalon im Stadtkino im Künstlerhaus mit Alle Anderen, ihrem Meisterwerk von 2009. Birgit Minichmayr war auch dabei.

Mit Maren Ade war am Donnerstag eine der vermutlich profiliertesten Regisseurinnen Deutschlands zu Gast im Stadtkino. Warum das cinephile Wien dieser Veranstaltung nicht völlig die Türen eingerannt hat, verwundert eigentlich. Vielleicht liegt es daran, dass Ades Überhit Toni Erdmann (2016) bereits am Vorabend gezeigt wurde oder dass zwei Tage später die große Masterclass auf Einladung des Drehbuchforums mit ihr stattfinden sollte. Oder vielleicht hat sich der FC Gloria mit seiner Präsenz auf der Donnerstagsdemo an diesem Abend auch einfach selbst eine Gegenveranstaltung geschaffen. Wie dem auch sei, so ergab sich während der Projektion ihres zweiten Langfilms Alle Anderen aus dem Jahr 2009 zumindest ein intimer Rahmen. Beim anschließenden Gespräch nahm auch Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr Platz, die den Anlass gleich dazu nutzte, sich zehn Jahre später selbst einmal wieder in den Film zu setzen.

Paar im Urlaub

Der Film selbst ist auch jetzt noch eine Wucht. Gitti und Chris (Lars Eidinger) sind ein deutsches Paar im Urlaub auf Sardinien und im Prinzip ist das auch schon die Synopsis, auf die man den Film herunterbrechen könnte: Was sich vermeintlich banal anhört, ist genau das Gegenteil. Selten ist ein Film so schmerzhaft gewesen. Maren Ade beobachtet unglaublich präzise und erbarmungslos wie zwei Menschen in einem ständigen Wechselspiel von Macht und Ohnmacht aufeinander losgehen, sich lieben und gegenseitig kaputt machen. Dabei schweben über ihnen die ganze Zeit die titelgebenden Anderen, bürgerliche Liebeswertvorstellungen, die zum ständigen Vergleich zwingen: Verhalten wir uns als Paar richtig? Die Leistung des Films ist, dass sein Publikum sich ständig von ihm ertappt fühlt – so wahrhaftig, so unheimlich aus dem Leben gegriffen wirkt er.

Alle Anderen beleuchtet auch eine Männlichkeit, der im Jahr 2019 gerne das Adjektiv toxisch vorangestellt wird. Selten wurde so ein wehleidiger Narzissmus treffender charakterisiert, als hier von Lars Eidinger. Wie Gitti, diese selbstbewusste Frau, sich dann doch immer wieder erniedrigt, weil sie Chris gerecht werden will, ist fast unerträglich. Vielsagend auch, dass Chris, der als Architekt offenbar nicht halb so erfolgreich und radikal ist, wie er es gerne wäre, den ganzen Film über seine selbstzweifelnden Monologe hält, während man von Gittis Job zum ersten Mal erst nach etwa zwei Dritteln des Films überhaupt erfährt.

Großes Schauspielkino

Natürlich wäre dieser Film nichts ohne Minichmayr und Eidinger, die so abgründig authentisch spielen. Alle Anderen ist großes Schauspielkino, wie es das im deutschsprachigen Raum kaum gibt. Das wird schon offensichtlich, wenn man sich einmal Minichmayrs Filmografie genauer ansieht: Kaum ein Titel darin wird dem Talent dieser feinen Darstellerin gerecht. Ades Film bildet dabei eine erfreuliche Ausnahme.

Eine Woche lang hätten Hauptdarsteller und –darstellerin mit der Regisseurin zur Vorbereitung in einem Haus zusammengelebt, erzählt Minichmayr dann beim Gespräch. Ein Luxus, den die meisten Filmproduktionen nicht haben. Sie beschreibt, wie sie in dieser Zeit Gesten und Eigenheiten Eidingers studiert hat, um diese bereits vorausahnen und die Intimität aufzubauen zu können, die das Paar für den Film zueinander braucht. Methoden, wie diese, fügt Ade hinzu, seien etwas, das man ausprobiere, von denen man aber nie sicher sein könne, ob sie dann überhaupt tatsächlich einen Einfluss auf das Endergebnis nehmen würden. Minichmayr versichert ihr daraufhin, wie wichtig dieser Prozess für sie und ihren Filmpartner gewesen sei. Nach der Vorbereitungswoche hätte Ade das Drehbuch dann, auf die Dynamik zwischen Hauptdarsteller und –darstellerin reagierend, weiter nachjustiert.

Ein Vorwurf an den Film sei dann auch gewesen, Minichmayr hätte ja bloß sich selbst gespielt – ein Urteil, so erzählt sie, über das sie sich damals ärgerte. Heute jedoch könne sie das Kompliment dahinter sehen. Auch Ade sei ständig darauf angesprochen worden, Minichmayr und Eidinger hätten doch sicherlich alles während des Drehs improvisiert. Doch mitnichten: Das Drehbuch sei sogar sehr detailliert gewesen, jedoch einfach völlig hinter den beiden verschwunden.  Was sie damals als unterstellte Faulheit verstanden hat, könne auch sie heute als Kompliment für gute Schauspielführung sehen.

Ausblick

Ein neuer Beitrag zu Maren Ades bisher eher schmalem, aber umso aufregenderem Oeuvre von drei Langfilmen ist bisher leider noch nicht offiziell angekündigt, aber es ist davon auszugehen, dass sie bereits daran arbeitet. Mit ihrer Produktionsfirma Komplizen-Film fokussiert sie sich derweil, auch sehr international ausgerichtet, ganz auf die Realisierung anderer, ausgezeichneter Projekte, allen voran Western von Valeska Grisebach, der Auslandsoscar-Gewinner Una Mujer Fantástica von Sebastián Lelio oder ganz aktuell der Berlinale-Preisträger Synonymes von Nadav Lapid. Birgit Minichmayr wird ab der nächsten Saison wieder Ensemblemitglied des Burgtheaters sein.