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Julian Schnabels 2018 erschienener Film über van Gogh steht noch immer am Programm vieler Kinos. Oft wird über ihn berichtet und immer wohlwollend. Der große Zuspruch überrascht, denn van Gogh ist der bereits am häufigsten cineastisch porträtierte Künstler überhaupt. Gerade ein Jahr zuvor erhielt der aufwändig inszenierte Film Loving Vincent sehr viel Lob und Aufmerksamkeit. Warum sollte man noch einen Film über van Gogh sehen wollen? At Eternity’s Gate besticht mit einem einzigartigen Zugang zur Psychologie des Künstlers und seines Schaffens: über 110 Minuten blickt der Zuseher durch van Goghs Augen, kann seine Sensibilität spüren und kreative Intuitionen nachvollziehen; der Film zeigt mehr über van Goghs Psychologie, als es ganze Bände von Analysen tun könnten. 

Obwohl sich At Eternity’s Gate an Eckdaten van Goghs Leben orientiert, ist der Film keine Biographie im herkömmlichen Sinn. Durchaus gibt es einen sich logisch aufbauenden Handlungsstrang. Doch die Szenen sind weniger Träger des Geschehens, als Ausdruck der Wahrnehmung aus der Perspektive des Künstlers. Wir sehen eine längere Szene, in der sich van Gogh die Schuhe auszieht und sie malt. Kameramann Benoît Delhomme setzt auf verwackelte Bilder und schiefe Perspektiven. Gleichzeitig wird die Szene akustisch gestört. Die Stimmung ist unruhig, während wir dem inspirierten van Gogh über die Schulter blicken, dessen Hände wie gehetzt den Pinsel über die Leinwand irren lassen. Dabei entsteht ein harmonisches Bild. Uns wird kein friedliches Schöpfen vorgeführt. Vielmehr werden wir von dem beängstigenden Schaffensprozess mitgerissen, spüren die wilde Ideenflut, die das Genie erreicht und suchen Schutz im Werden des Bildes.

Es scheint, als würde uns Julian Schnabel mit solchen Szenen ein intimes Geheimnis über Inspiration und Schöpfung mitteilen. Wir erleben die Sensibilität des Künstlers. Wir blicken durch seine Augen auf Landschaften und Malereien und in Gesichter. Die Dialoge sind in statischen Nahaufnahmen aufgenommen. Wir erfahren beinahe mehr über die Gesprächspartner, als wir ertragen können, ekeln uns oder fühlen uns eingeschüchtert. Denn Sensibilität ist auch Verwundbarkeit. Genau so wie wir van Goghs Inspiration erfahren, sind wir auch seiner Paranoia ausgesetzt. Es kommt zu Szenen, in denen das Schöpfen gestört wird. Einmal von einer Schar Kinder, die den malenden van Gogh bedrängt und seine Kunst verspottet. Die Szene ist von seltener Brutalität. Es erscheint uns als Untat, das schöpferische Idyll des Malers zu stören und wir solidarisieren uns mit van Gogh: obwohl er eines der Kinder schlägt.

Der künstlerische Standpunkt – At Eternity’s Gate 

All artists I like painted fast sagt van Gogh und verweist unter anderem auf Delacroix, Cézanne und Rubens. Ein Kunstwerk muss unter einmal angefertigt werden. Wie Atem soll Malerei sein: sehen und wiedergeben, wie ein- und ausatmen. Das gemalte Motiv wird durch den Künstler verfremdet. Schließlich kann, soll und will der Künstler nicht jede Facette seines Subjektes darstellen. Er sieht etwas darin und bringt genau das zum Ausdruck. Das Bild ist das Ergebnis jener Auseinandersetzung von Maler mit Gemaltem. Technisch Akkurates ist van Gogh weniger wichtig, als inhaltlicher Tiefblick. Van Goghs künstlerischer Zugang ist kein intellektueller. Er findet seine Motive in der Natur und denkt nicht zu viel über sie nach: vielmehr dringt er emotional in sie ein. I draw sunlight, sagt er. Er ist ein durchaus spiritueller und erdnaher Künstler. Mit religiöser Überzeugung glaubt er an seine Berufung zum Maler. Why would God give me a gift to draw ugly and disturbing things? antwortet er, als ein Pfarrer seine Bilder als hässlich deklariert. Die Malerei ist ihm ein Weg, Teil dessen zu sein, was ihn staunen lässt. Wir erfahren van Gogh als kindlichen Erwachsenen, der mit allen Sinnen das Rauschen der Blätter genießt und durch seine außerordentliche Sensibilität einen sehr intimen Zugang zu Menschen hat. Sein Malstil scheint uns analog zu seinem Wahrnehmen zu sein.

Schlusswort und Empfehlung

In einem Interview mit Tiff Talks sagt Julian Schnabel: If you look at his paintings, when he says „I am my paintings, you have everything right there“. I don ́t know if Vincent needed me to make this movie. Damit meint Schnabel, dass er nicht eine Facette des Künstlers auf die Leinwand bringt, sondern den Kern seiner Existenz erfasst: was die Bilder schließlich auch ausdrücken. Der Film ist eine Interpretation des Werks von van Gogh und mit derselben Sensibilität und Farbenfreude wiedergegeben, wie van Gogh die Natur abbildet. Durchaus aber gilt At Eternity’s Gate als Kunstwerk für sich. Er bereichert intellektuell sowie emotional und spirituell. Viele von uns leben in einer pragmatisierten und reizüberfluteten Welt. Über 110 Minuten lässt uns der Film Schönheit in der Natur und im Sonnenlicht finden. Er lässt uns den Wunsch nach Ruhe und Abgeschiedenheit und das Verlangen zu schöpfen nachvollziehen. Er schafft es, unser eigenes Innenleben mit dem van Goghs zu bereichern. Ein Meisterwerk.