Podcast

Seit ein paar Wochen läuft der Film Beach Bum des Ausnahmeregisseurs Harmony Korine im Kino. Anlass genug, um noch einmal seinem vorherigen Werk Tribut zu zollen – dem einmaligen Spring Breakers

Beach Bum, der neueste Film des US-Amerikaners Harmony Korine, ist vor einem Monat in den heimischen Kinos angelaufen. Hat man jedoch auch Spring Breakers von 2012 gesehen, wird man sich möglicherweise des Eindrucks nicht erwehren können, es hier mit dessen kleinem Bruder im Geiste zu tun zu haben – einem nachgeschobenen Beiwerk. An dieser Stelle soll noch einmal an dieses audiovisuell überwältigende, rauschhafte und brüllend komische Ungetüm erinnert werden. Denn inhaltlich und stilistisch sind beide Filme durchaus ähnlich. Aber wo Matthew McConaughey als dauerbekiffter Lebemann zwar groß aufspielt, jedoch inhaltlich in eher seichten Gewässern strampelt, ist die 2012er-Version das monumentale, abgründige Porträt einer sogenannten Generation Y.

Harmony Korine begeht jeden seiner Filme mit dem sympathisch größenwahnsinnigen Anspruch, mit ihnen jeweils auch gleich das ganze Kino neu zu erfinden. Das hat uns originäre Meisterwerke wie die beiden Erstlinge Gummo (1997) und Julien Donkey-Boy (1999) beschert. Deren Finanzierung grenzt überhaupt an ein Wunder, so experimentell und wahnsinnig sind sie, und ist eigentlich vor allem Korines Erfolg als Drehbuchautor des Larry-Clark-Kultfilms Kids (1995) zu verdanken (ein Buch, das er im Alter von 19 Jahren geschrieben hat).

Zügellose Eskalation

Nun aber zu Spring Breakers, seinem fünften und bis dahin teuersten Film, prominent und als absoluter Coup besetzt mit den damals noch völlig unbefleckten Disney-Aushängeschildern Vanessa Hudgens und Selena Gomez (die ja tatsächlich einst sogar noch öffentlichkeitswirksam einen Keuschheitsring getragen hat).

Eine Gruppe von vier Studentinnen macht sich also auf den Weg nach Florida zum titelgebenden Frühlingsevent, um sich dort einmal so richtig die Kante zu geben. Aja, weil sie dafür aber eigentlich kein Geld haben, rauben sie zuvor noch ein Diner aus.

Am Beginn des Films steht eine ausschweifende Strandparty-Sequenz: in Slow Motion tanzende, perfekt trainierte und gebräunte Körper, offensiv ausgestellte Phallussymbolik, entblößte Brüste im heißen Sonnenlicht, glücklich zum Lachen verzerrte Fratzen. Dazu die Tonspur mit Dubstep von Skrillex. Das Bild wird sich durch den ganzen Film ziehen und formuliert das große Ziel, die libidinöse Fantasie dieser Frauen: Raus aus dem Funktionierzwang, weg von der Langeweile („I’m tired of seeing the same things.“) und rein in die völlig zügellose, ungehemmte Eskalation im jedoch klar eingegrenzten (Zeit-)Raum.

Korine zeigt gelangweilte, vergnügungssüchtige, apolitische, ignorante, asoziale Girls, die sich My little Pony beim Bong-Kiffen ansehen und süße Rucksäcke tragen, die eigentlich Plüschtiere sind. Als großes weibliches Role Model schwebt Britney Spears, dieses seelenlose Produkt der 2000er Jahre, über ihnen – ihre Musik zieht sich durch den ganzen Film. Die medialen Vorbilder, also Popstars, Models – kurz: Leute, die ihnen was verkaufen wollen (heute wären das Influencer) – haben sie verinnerlicht. Auch die Kamera erkennt ihr kommerzielles Potential: Voyeuristisch glotzt sie ihnen in den Schritt, misst ihnen die Körper aus.

In seiner ersten Zusammenarbeit mit dem belgischen Kameramann Benoît Debie erschafft Korine Bilder, die sich eine zeitgenössische kommerzielle Musikvideoästhetik aneignen, diese aber derart übersteigern und mit Unappetitlichkeiten anreichern, dass deren ohnehin immanente Gewalt und Abgründigkeit obszön zu Tage gefördert werden. Es leuchtet das Neon, wechseln die Farben, verzerren sich die drogeninduzierten Bilder, schwenkt die Kamera wild herum. Die glänzenden, attraktiven, überdigitalisierten (in Wahrheit auf 35mm-Film gedrehten), hohlen Bilder der Popkultur verzerrt er ins Hässliche. Führt man sich einmal die heutigen Musikvideos von Selena Gomez zu Gemüte, kann man dagegen die ganz unironische Version davon sehen.

Fiktive Gewalt

Der Film beschreibt auch eine Verschmelzung von Realität und Fiktion. Die Spring Breaker wähnen sich selbst in einem Film zu sein, denn nichts mag Konsequenzen für sie haben. Das betrifft besonders die Gewalt. „Pretend it’s a video game“ sagt Vanessa Hudgens vor ihrem Raubüberfall – und da sind die Pistolen, die sie verwenden, noch gar nicht echt. Mit welcher Lässigkeit sie am Ende ein Dutzend Menschen über den Haufen schießt, ist da nur folgerichtig. Gewalt ist für die Protagonistinnen bloß popkulturelles Zitat, sie wird exerziert wie in Videospielen – konsequenzenlos und scheinbar virtuell. Wenn James Franco als Gangster Pistolen in den Mund geschoben werden und er sie lustvoll zu lutschen beginnt oder die Protagonistinnen mitsamt Maschinengewehren andächtig zu Britney Spears’ Everytime tanzen (schon jetzt Filmgeschichte) findet Korine treffende Bilder für die Fetischierung einer poppig-stylischen Waffengewalt.

Dennoch ist Spring Breakers kein didaktischer Film. Harmony Korine hat noch nie mit dem Finger auf seine Figuren gezeigt, vielmehr ist er ein zutiefst humanistischer Filmemacher, der jede Tat in seinen Filmen zuallererst einmal als menschlich begreift, bevor er sich je zu einer Wertung hinreißen lassen würde.

Als Spring Breakers, dieser movie of a generation, in die Kinos kam, war ich 16 Jahre alt und habe ihn mir mit Gleichaltrigen angesehen. Der bunte Exzess, der gewalttätige Style hat damals eine Fantasie visualisiert, die uns zutiefst angesprochen hat. Die Protagonistinnen waren Heroinnen für uns, wir haben sie beneidet um ihren unendlichen Spaß, ihren vermeintlich nonkonformistischen Hedonismus. Berauscht vom Soundtrack, von der sogartigen Wirkung des Films, haben wir es sogar noch geil gefunden, wie sie am Ende einen Haufen Gangster niederschießen. Es spricht für den Film, dass er diese (nicht nur) pubertäre Fantasie selbst ist, dass er diese Kultur abfeiert, wie sie sich selbst abfeiern würde und dann trotzdem gerade deshalb die Frage entstehen lässt, in welcher Hölle man hier denn plötzlich gelandet ist. Und warum das Ganze einem trotz Unbehagen so großen Spaß bereitet.

 

Infos und weiterführende Links

The Beach Bum läuft seit dem 29. 3. 2019 in den österreichischen Kinos. Spring Breakers ist auf DVD und Blu-ray erhältlich und auf diversen Video-on-Demand-Plattformen zu finden.