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Du hast keine Ahnung, wie eng es hier sein kann. 130 Meter gerade aus, 15 Meter nach rechts, dann 130 Meter zurück, hinab in den Maschinenraum, ein paar Decks hoch auf die Kommandobrücke, runter in die Kabine, zwei auf drei Meter, eine Koje, ein Tisch, eine Toilette, fertig.

Und das Tage, Wochen, ganze Monate lang. Rundherum nur Wasser und Wellen und Wind und Wetter. Und manchmal ein Hafen, so gigantisch, als wäre er nicht von dieser Welt. Der Horizont ist hinter dem Nebel verschwunden und mehr als tausend Container wippen vor mir auf und ab. Rote, gelbe, grüne, blaue, graue, weisse. Ich bin auf einem Frachter irgendwo zwischen Rotterdam und Dublin und Angelito, 55, sagt: «Wir reden nicht viel.»

Das klingt wie eine Entschuldigung. Es ist Mittag und auf dem Tisch stehen Salat, Reis, gedörrter Fisch, Sojasauce, eine Flasche Cola. In Wahrheit ist ihm nicht nach Reden, dem Bootsmann aus Manila. Denn er ist krank vor Heimweh, munkeln die anderen. Angelito, seit einem dreiviertel Jahr an einem Stück auf See, ist einer von sechs Filipinos an Bord. Die anderen fünf – der Kapitän, seine Offiziere, die Ingenieure – sind Russen und mit Ausnahme von Vladimir mürrisch. Kein Scherz, kein Anflug von einem heiteren Lächeln, kein sinnreicher Seufzer, nicht einmal ein Wort der Begrüssung für die Filipinos. Nur Befehle und ein anmaßendes Knurren den ganzen Tag. Dabei sind die philippinischen Seefahrer, weltweit um die 300.000, angeblich so beliebt: “Sie reden Englisch, sind anständig, flexibel, willig, genügsam”, sagt Denis, erster Offizier, leicht untersetzt und noch knurriger als die anderen. Sein Gesicht grinst. “Und sie kosten fast nichts, was willst du mehr.”

Die perfekte Investition also für alle Treiber und Profiteure einer Globalisierung, die ohne Schifffahrt gar nicht auszumalen wäre.

Ob Bananen, Autotüren, T-Shirts, Kugelschreiber oder Kopfkissen: 90 Prozent aller Waren, die wir heute kaufen, werden verschifft. 60.000 Frachter durchkreuzen jedes Jahr die Weltmeere, beladen mit insgesamt 500 Millionen Containern, die 1964 auf 8 Fuss Breite (2,438 m) und 20 bzw. 40 Fuss (6,096 m bzw. 12,192 m) Höhe normiert wurden und seither auf jeden Laster und Güterzug der Welt passen. Mit diesen Stahlkisten ist der Transport auf hoher See überhaupt erst rentabel, ja richtig billig geworden. Entfernungen spielen keine Rolle mehr. Inzwischen lassen sich 20 Tonnen beliebigen Frachtguts für gerade mal 300 Euro über den Pazifik verschiffen. Wer seinen Lachs, in norwegischen Gewässern gefangen, nicht in China filetieren lässt, um ihn dann auf dem Fischmarkt in Bergen zu verkaufen, dem ist nicht zu helfen.

Zwar brauchen die Frachter Tage oder gar Wochen von einem Hafen zum anderen, doch das machen sie mit ihrem Volumen wett. Und das wächst und wächst. 1997 setzte die Susan Maersk mit ihren 6.600 Containern neue Standards, weniger als zwanzig Jahre später sticht die Al Muraykh mit 18.600 Containern in See. Und es dürfen noch mehr sein, sagen die Experten; sie setzen die Obergrenze bei 30.000 Behältern an.

Das wäre dann Platz für umgerechnet 1.333 Milliarden Bananen. Macht eine Banane für jeden Inder. Plus eine Banane für alle in Deutschland und noch eine für die Schweizer. Unvorstellbar viele Bananen auf nur einem Frachter wären das.

Dass viele Reedereien so hemmungslos Profit schlagen – die dänische Maersk erzielt mit ihren 90.000 Angestellten Jahresumsätze bis 50 Milliarden Dollar, das ist fast so viel wie Google –, geht auf Kosten der Seeleute. “Oft arbeiten wir 70 Stunden die Woche, einen Mindestlohn haben wir nicht.” Viele Reedereien fahren unter fremder Flagge – von Panama etwa oder Gibraltar –, um Löhne und Steuern einzusparen, erklärt Angelito.

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Aber er will nicht klagen. Es sei halt, wie es ist, und er weiss: hier habe ich meine Heuer, daheim wäre ich – mit meinen 55 Jahren – ohne Arbeit und ohne Ansehen. Aber der Preis ist hoch. “Wir sind acht Monate im Jahr auf dem Schiff, dann fliegen wir nach Hause und hoffen auf den nächsten Vertrag. Und wenn einer von uns nicht kann, stehen schon zehn andere bereit.”

In seinen dreißig Jahren Seefahrt war Angelito nur zweimal an Weihnachten daheim, die Geburtstage seiner Töchter ziehen an ihm vorüber wie Kreuzfahrtschiffe und seine Frau hat er schwanger, mit grossem Bauch und Blumen im Haar, nur auf Bildern gesehen.

Die meiste Zeit haben die Seemänner weder Telefonverbindung noch Internet. Dann sitzen sie – zwischen Schrubben, Schmieren, Schweissen, Löten, Hämmern, Ölen, Pinseln und dem Abwasch – in ihrer Kajüte, schauen sich Videos an oder hören am Fernsehen einem Prediger zu. Lange Tage und lange Nächte sind das, sagt Angelito, aber was will man machen.

Mehr Sorgen bereiten ihm die Kopfschmerzen. Dieses dumpfe, schwerfällige Klopfen in seinem Schädel, das nicht mehr aufhören will seit ein paar Jahren. Das kommt mit dem Alter, meint Angelito, der niemals ruhig ist. Oder vom Wind, vom Krachen der Wellen, dem schlechten Schlaf, dem Gestank der Motoren, dem schweren, trüben Himmel, der ewigen Sehnsucht. Oder vom ranzigen Fett aus der Schiffsküche?, frage ich. Wer weiss, sagt Angelito.

Philip rollt mit den Augen, solche Späße mag er nicht. Der Filipino, mit Jahrgang ’82 der Jüngste an Bord, stellt die Pfanne mit dem Fisch vom Herd und wäscht Kartoffeln. Das Kochen hat ihm die Grossmutter beigebracht, dann belegte er in Manila Kurse der Philippinischen Behörde für Arbeiter in Übersee (POEA), eine staatliche Einrichtung mit dem Ziel, die Jugend des 100 Millionen Inselstaates für die Arbeit im Ausland fit zu machen: als Krankenpfleger, Hausangestellter, Barmixer, Fensterputzer, Installateur oder Schiffskoch. Für die Regierung ein flottes Geschäft: Die 10 Millionen philippinischen Arbeitsmigranten bringen jedes Jahr zwischen 15 und 20 Milliarden US-Dollar nach Hause. Das sind fast zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts eines Landes, in dem immer noch jeder Dritte ohne Arbeit ist.

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Seit gut zehn Jahren ist Philip jetzt auf See, er würde eine andere Arbeit nehmen, wenn er könnte, das spürt man. Eine bei ihm zuhause. Um bei den Kindern zu sein, bei seiner Frau, den Eltern, die ihm alles bedeuten. Wie die anderen, schickt auch er jeden Monat pünktlich seinen Verdienst nach Manila. Doch investieren kann er nicht, das Geld versickert. «Unser Problem sind nicht die Taifune, glaub mir, es sind die Korrupten, Dubiosen, Kriminellen. Gottlob räumt unser Präsident jetzt auf.»

Ihr Präsident, das ist Rodrigo Duterte, 72 Jahre alt. Beim Amtsantritt im Juni 2016 versprach er, allen Verbrechern in seinem Land das Leben zur Hölle zu machen, mindestens. Inzwischen sind die Gefängnisse überfüllt, tausende Verdächtigte wurden hingerichtet.

Das ist nach Philips Gusto, er steht dazu.

Und ist damit nicht allein. Während der Westen Dutertes Menschenjagd verurteilt, verehren ihn viele Filipinos bereits als Messias. Dass sich dieser Erlöser gerne mit Hitler vergleicht, scheint niemanden zu stören. Nur einmal war Philip, der zweifache Familienvater und tiefgläubige Katholik, über seinen Präsidenten entsetzt: In einer Rede hatte dieser nicht bloss Obama einen “Hurensohn” genannt, sondern auch den Papst. Das war unerhört, findet Philip. Ansonsten sei Dutertes Kurs aber genau richtig, weil rabiat.

“Erst wenn wir die Korruption und Kriminalität in den Griff bekommen, können wir unser Geld anlegen und an der Zukunft bauen.” Philipp, der Schiffskoch, redet auf einmal wie ein Politiker, dabei ist sein Blick voller Fragen, wie der eines Kindes, das man beschützen möchte.

Die nächsten Jahre will Philip noch sparen. Ein Haus für seine Familie möchte er bauen, ein zweites für die Eltern. Und wenn es reicht ein kleines Geschäft für seine Frau, etwas mit Schmuck oder feinen Kleidern soll es sein. Dass Arbeitsmigranten wie er ihre besten Jahre in der Fremde hergeben, müsse sich am Ende doch lohnen, sagt Philipp. “Hier draussen sind wir allein. Aber daheim sind wir die Helden.”