Diesen Sommer war Portugal in aller Munde. Sei es die Studentin, die Abwechslung vom Großstadtdschungel braucht, die Kleinfamilie, die die Freizeit miteinander genießen möchte oder die Chefin eines multinationalen Konzerns. Sie alle waren diesen Sommer in Portugal. Auf den pittoresken Kopfsteinpflasterstrassen in der Altstadt hört man mehr Französisch, Deutsch oder Englisch als Portugiesisch. Um das Wirtschaftswachstum zu fördern, setzt Portugal auf drei Sektoren: auf den Export von industriellen Zuliefergütern und Autozubehör, sowie auf traditionelle Branchen wie die Textilindustrie und Tourismus.
Die Zahl der ausländischen Besucher nimmt ständig zu. Im Jahr 2016 waren es 11,4 Millionen Besucherinnen und Besucher, in dem Jahr entfiel ein Viertel der neu geschaffenen Arbeitsplätze auf diese Branche. Der vorbildliche Haushaltsdisziplin hat Früchte getragen: Mitte Juni 2017 hat Brüssel das 2009 beschlossene Defizit Verfahren gegen Portugal beendet. Doch während die sonnengebräunten Touristen in eins, zwei Wochen der Stadt den Rücken kehren werden, gibt es einige unter ihnen, die länger bleiben.
Denn nicht nur die Queen of Pop hat ihr Lebensmittelpunkt nach Lissabon verlegt, sondern auch zahlreiche sogenannte „digitale Nomadinnen und Nomaden“. In der LX Factory, einem ehemaligen Fabrikgelände, das von einem ausländischen Investor renoviert wurde und zu DEM kulturellen Treffpunkt Lissabons avancierte, treffe ich im Coworklisboa auf die Australierin Aisha.
In der offenen Küche des Co-working Spaces steht sie am Fenster im strahlenden Licht der Sonne und umklammert ihre Kaffeetasse. Begeistert gleitet ihr Blick über die weiße Häuserfront und die 25 de Abril Brücke. Aisha ist vor drei Wochen als digitale Nomadin mit einem 90 Tage gültigen Touristen Visum nach Lissabon gereist. Die 32-jährige hat sich eine Auszeit von ihrer Arbeit genommen und analysiert in Lissabon den Immobilienmarkt und sucht für Investoren nach neuen Immobilien. Mit einem britischen Freund, der auch als digitaler Nomade arbeitet, kam sie aus Chiang Mai nach Lissabon um mal in Europa zu arbeiten und Portugal kennen zu lernen.
Was ist ein digitaler Nomade?
Um das Phänomen des digitalen Nomadentums hat sich ein regelrechtes Hype gebildet. Der Begriff taucht immer öfter in Tageszeitungen oder Magazinen auf. Ein digitaler Nomade arbeitet mit Hilfe der Digitalisierung an seinem Computer oder Laptop und kann die Arbeit ortsunabhängig erledigen.
Im Jahre 1997 vor exakt 20 Jahren veröffentlichten Tsugio Makomoto und David Manners ihr Buch namens „Digital Nomad“. Es war das erste Buch, das dieses Thema behandelt hat und den Begriff des „digitalen Nomaden“ offiziell erfand. Mittlerweile hat sich der Begriff auch professionalisiert und manche erfahrene Digitale Nomadinnen und Nomaden bezeichnen sich als „location independent professionals“. Wenn man dem Begriff „digitale Nomaden“ heute googlet, tauchen folgende Artikel auf: „Lifestyle der digitalen Nomaden“, „digitales Nomadenleben für Einsteiger“ oder „digitale Nomaden, die Welt ist ihr Büro“. Diese Titel stehen symptomatisch für folgende Begriffe: Digitalisierung, Mobilisierung, Flexibilität und Selbstverwirklichung.
Der 27-jährige Annes aus Estland verdient bereits seit zehn Jahren Geld mit Hilfe des Internets. Er macht Online Marketing für verschiedene Online Shops wie einem estnischen Tischtennis Online Shop. Lächelnd sagt er: „Ich war schon ein digitaler Nomade bevor die meisten diesen Begriff je gehört haben.“ Annes ist in einem kleinen estnischen Dorf aufgewachsen und hat bereits im Alter von 18 Jahren nach einer Indienreise gewusst, dass er die Welt bereisen möchte und die traditionelle Arbeitswelt in der man von 9 bis 17 Uhr arbeitet nicht seinen Wünschen entspricht.
Seit fünf Jahren ist er ein mobiler digitaler Nomade und reist durch die Welt. Als EU-Bürger gestaltet sich das Reisen für Annes leichter als für die Australierin Aisha. „Ich habe schon sicher 70% der europäischen Länder bereist: Italien, Spanien, Portugal, Ungarn, Deutschland, Tschechien, aber auch in Russland und Ukraine habe ich schon als digitaler Nomade gearbeitet“, sagt Annes.
Sein Heimatland gilt als der digitale Vorreiter der europäischen Union: E-Governance und E-State werden in Estland groß geschrieben. Die E-Citizenship wurde im Jahre 2014 eingeführt.
Doch auch wenn er die Vorteile des digitalen Nomadentums schätzt, scheut er sich nicht auch über die negativen Seiten des gehypten Nomaden Lifestyles zu sprechen:„Es gab schon Zeiten da hatte ich gerade mal 15 € auf dem Konto. Das Nomadentum ist auch ein einsames Lebensgefühl. Deine Freunde wechseln alle paar Wochen und du hast nie einen konstanten Freundeskreis. Alle paar Wochen musst du dir neue Freunde suchen, was natürlich zu einer oberflächlichen Beziehung führt. Deine Familie siehst du auch nicht so oft.“
Die Vorteile des digitalen Nomadendaseins sind aber auch verlockend: „Manchmal arbeite ich vom Strand aus oder schon morgens im Bett.“ Somit verwischen sich aber die geregelten Arbeitszeiten und man muss sich fragen, ob man letztlich nicht mehr arbeitet als in einem regulären Bürojob. Annes sagt: „Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht genug arbeite. Meine Freunde in Estland arbeiten sicherlich mehr als ich.“
Die stetige Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung lässt nicht mehr lange auf sich warten und auch die anderen Branchen werden sich einer Veränderung unterziehen müssen.
Diese Recherche entstand im Rahmen eines Stipendiums von “eurotours 2017″. Der österreichische Bundespressedienst im Bundeskanzleramt kam für Reise und Übernachtung auf.