Kaum jemand hat sich um den Hiphop in Österreich so verdient gemacht wie der aus Kroatien stammende Rapper und Streetwear-Designer Kid Pex. Kein zweiter ist so vielseitig aktiv in der Szene wie er: Neben einer beachtlichen Liste an Kollaborationen und zahlreichen Moderationen bei Events, veranstaltet er neben Rap-Workshops zusammen mit EsRap und DJ Dent das Gürtel Squad im rhiz. Kid Pex im Interview
Dieser wortgewandte Mann supportet die Hiphop-Szene, wo er nur kann. Nicht zu vergessen sein politisches Engagement. Logisch also, dass wir Kid Pex schon seit längerem am Radar hatten. An einem grau bewölkten Freitag verabredeten wir uns auf einen Kaffee am Yppenplatz. Hier kannst du unser anschließendes Gespräch nachlesen.
Die erste Frage ist etwas tricky: Was ist für dich persönlich realness? Oder konkreter: Was empfindest du in deinem Leben beziehungsweise in deinem Alltag als real?
Das ist ein schwieriges Thema, weil es da nicht nur eine Antwort gibt. Wenn du mich aber nach meinem persönlichen Zugang fragst: Wenn ein Mensch seine Innenwelt authentisch in die Außenwelt exportiert, also wenn er das schafft, dann ist das für mich real. Du merkst in der westlichen Welt schnell, ob jemand real ist oder nicht und das tut, was er oder sie aus Überzeugung tun will. Das ist oft ein Balanceakt und 100 % real zu sein, das ist nicht leicht. Es gibt keine zehn Gebote des Hiphop, wo es heißt, dass ist real und das nicht. Jeder ist auf seine Weise real. Ich höre zum Beispiel Studenten-Hirnwix-Rapper und genauso Gangster-Gorilla-Rap. Und jeder von denen kann real sein, wenn er das macht, wofür er steht und das vertreten kann. Das ist das Problem in der realness-Diskussion, dass sich die Leute einschränken und in ihrem Mikrokosmos behaupten, die realness für sich gepachtet zu haben. Das ist aber nicht so. Die realness ist in Wirklichkeit in der Vielfalt der Menschen, im Nebeneinander von vielen realnessess. Da, wo man sagt, der ist real, obwohl er nicht so ist wie ich.
Wann ist Hiphop für dich nicht mehr real?
Richtig mit Hiphop infiziert wurde ich durch Westberlin-Rap und hab das sehr gefeiert. Die provokative Attitüde von Royal Bunker, Tabus zu brechen und dabei der Musikindustrie den Mittelfinger zu zeigen, hat mich geprägt. Je älter ich werde, desto mehr verstehe ich auch verschiedenste Stile und öffne mich auch für Hiphop, der nicht unbedingt meinen eigenen Rap-Roots entsspricht. Ich mag Gangster-Rap. Ich kann auch dem Poser-Marken-Rap etwas abgewinnen, sehe das aber natürlich kritisch. Man sucht als verlorene Generation – meine Generation war auch schon verloren – irgendwo Halt. Und dann sucht man sich mit 16, 17 diesen Blödsinn aus. Das kann ich noch verstehen.
Problematisch wird es, wenn man was für Konzerne macht, zum Beispiel für Red Bull. Oder wenn man für IKEA auftritt, wie bei diesem Grätzlfest in Rudolfsheim (9.-30.6.2018, Promo-Veranstaltung von IKEA; Anm.). Wer da mitgemacht hat, kannst du im IKEA-Rapper-Katalog nachlesen. Ich möchte da keine Namen aufzählen, weil ich einige davon schätze und das nicht verstehe. Da kommen wir zurück: Hier geht die realness für mich komplett verloren, wenn man zum Beispiel für Red Bull auftritt, obwohl man weiß, wo Mateschitz politisch steht, nämlich rechts außen. In einem Interview für die Kleine Zeitung hat er einen politischen Seelenstriptease hingelegt, dort kann man das nachlesen. Beim Popfest hat es eine Punk- oder Rockband gegeben, die auf der Bühne von Red Bull gegen Red Bull Stimmung gemacht hat. Das fand ich cool. Kreiml & Samurai haben diesen Bullen bei ihrem Auftritt verdeckt. (lacht)
Was hältst du von der Red Bull Academy?
Wir brauchen keine Red Bull Academy, wir haben unsere eigene Underground-Academy: Gürtel Squad. Ich ging halt immer den schwierigeren Weg, ohne in der österreichischen Freunderlwirtschafts-Gemütlichkeitsspirale mitzuspielen oder mich, wie dir das oft in Wien ab einem gewissen Karrierepunkt ans Herz gelegt wird, sich bei den richtigen Leuten einzuschleimen. Das hat für mich nichts mit Hip Hop zu tun. Man sollte bei Auftritten für Konzerne und deren Einbindung in die eigene Kunst definitiv als Rapper oder Rapperin hinterfragen, wo man da mitmacht, was der größere Plan dieser Leute dahinter ist. Ich hab den Eindruck, dass Red Bull nun die Street-Kultur erobern will, nachdem sie schon die Extremsport-Kultur für sich einnehmen konnten. Vor allem Rap und Hiphop scheint auf dem Red Bull-Programm zu stehen.
“Ich hab den Eindruck, dass Red Bull nun die Street-Kultur erobern will, nachdem sie schon die Extremsport-Kultur für sich einnehmen konnten. Vor allem Rap und Hiphop scheint auf dem Red Bull-Programm zu stehen.” Kid Pex
Du hast schon mit ziemlich vielen Artists RapperInnen/KünstlerInnen zusammengearbeitet. Wen aus Vergangenheit oder Gegenwart schätzt du ganz besonders?
Im Grunde fand ich jede Zusammenarbeit besonders, es ändert sich mit der Zeit aber das Verhältnis zu den Leuten. Es war in diesem Moment aber gut. Und das ist die musikalische Momentaufnahme, die immer schöne Erinnerungen wecken sollte. Schöne Erinnerungen hab ich zum Beispiel an den Illeagle, der mir damals in seinem Kinderzimmer ermöglicht hat, mein erstes Mixtape und mein erstes Album aufzunehmen. Die Eltern von ihm waren nebenan und wir machten Krach, das fand ich real. (lacht) Natürlich ist der inzwischen schon lange ausgezogen und hat seine eigene Wohnung. (lacht) Kreiml & Samurai nehmen zum Beispiel heute noch bei ihm auf. Der hat einige Projekte am Start, für Vearz hat er auch das Album aufgenommen. Also an ihn hab ich schöne Erinnerungen, auch weil er viel für den Wiener Hiphop machen wollte und macht.
Dann hab ich an den Freshmaker schöne Erinnerungen, mit dem mich eine jahrelange Freundschaft verbindet. Mit ihm hab ich angefangen, das ganze etwas professioneller aufzuziehen. Er hatte seinen ersten Release auf meinem Mixtape und als er in einer Phase aufhören wollte, hab ich ihn wieder aufgemuntert, genauso wie er mich. Mittlerweile ist er Platin-Produzent und hat mich trotzdem nicht vergessen. Wir haben dieses Jahr zum Beispiel meine Kodeks EP aufgenommen. Er spielt mir Beats vor, die dann Leute wie Kollegah reserviert haben.
Bis heute verbunden bin ich auch mit DJ King, der mich damals mit dem Deine Mutter Recordlabel gesignt hat. King ist einfach ein 100%iger Vollblut-Hiphopper, der im Studio, auf der Bühne als unser Live-DJ oder auch bei fetten Boombap-Beats Tausendprozentiges abliefert. Er hat genauso diese Hustle-Mentality. Ich hab so viele Leute ins Deine Mutter Studio gebracht und die meisten recorden auch jetzt immer noch dort. Aus gutem Grund natürlich.
Du verfolgst verschiedene Projekte und bist ziemlich busy. Trotzdem hast du im März 2018 die EP Kodeks released. Du teilst also nicht die zur Zeit vorherrschende Meinung, dass man besser auf Singles setzen sollte?
Wir leben auf jeden Fall in der Zeit der Singles. Alben haben für unsere Generation aber natürlich auch was schönes. Ein Album hat Hand und Fuß. Früher, ohne Internet, musstest du dir die Informationen selber erarbeiten und warst froh um ein Foto des Künstlers im Booklet. Das ist mit der modernen Technologie anders geworden. Früher musstest du forschen, heute wird dir alles serviert. Die letzten Jahre habe ich auch hauptsächlich Singles auf Deutsch released.
Kodeks ist ein persönliches Album geworden. Was möchtest du uns darüber erzählen?
Ja, es ist definitiv ein persönliches Album geworden. Ich war depri, Trennung, dies und das, es war generell keine leichte Zeit die letzten drei Jahre. Drei Operationen an der Wirbelsäule. Ich hab Titan im Rücken, das ist schon ein anderes Feeling. Ich war viel in Spitälern und bei Ärzten. Dann kam auch noch die Trennung, also privater Stress und andere Sachen. Ich war ausgeknocked.
Der Freshmaker hat dann gesagt, komm, gehen wir ins Studio, machen wir was. Wir sind dann ins Studio und haben in einer Nacht einen Track aufgenommen. Geschrieben habe ich das auch vor Ort. Da sind schon einige düstere Nummern dabei und sehr viel Seele. Domovina, ein Track übers Nach-Hause-fahren in die alte Heimat, ist da noch die heiterste Nummer. Wir sind für das Video in die Heimat gefahren. Du siehst da aber keine kroatische Flagge oder so. Wir haben einen serbischen Sänger. Das ist also ein Lied von einem Serben und einem Kroaten, die dasselbe Feeling über ihre Heimat musikalisch zum Ausdruck bringen. Das Feeling ist ident. Es ist eine der besten Nummern. Aufgenommen haben wir das in Traiskirchen, im Loco Studio, wo Freshmaker früher war. Das waren lustige Nächte. Die Zeit heilt alle Wunden, aber Hiphop heilt sofort. Du machst ja in erster Linie auch Musik, damit sie dir Kraft gibt.
Wie ist die Hiphop-Szene am Balkan im Vergleich zur österreichischen?
Am Balkan gibt es eine regionale Szene, wo alle vereint sind, weil alle mehr oder weniger die gleiche Sprache sprechen. Ein Nationalist wird dir ein altes Wort ausgraben und sagen, dass ist der Unterschied zwischen denen und uns. Aber es ist eine Sprache im Endeffekt, auch wenn es unterschiedliche Varianten gibt, wie sie geschrieben wird. Daneben gibt es noch die lokalen Szenen. Und es war immer interessant mitzuverfolgen, wer gerade oben oder unten ist. Kroatien zum Beispiel war Anfang und Mitte der 90er Jahre hiphopmäßig schon sehr weit. Ich kenne da zum Beispiel Phat Philly, den Gründer von Blackout Croatia, einer Hiphop-Sendung aus Zagreb. Die haben enorm viel Pionierarbeit geleistet. Oder Leute wie Tram 11, die eine Wand durchbrochen haben wie in Deutschland Torch oder in Tschechien und der Slowakei Kontrafakt. Die haben alle geprägt. Die Szene in Zagreb war ein Wahnsinn, auch von den Produzenten her. ASD (Afrob und Samy) haben sich 1999 in Kroatien Beats geholt. Dann kam der Hiphop-Mainstream-Boom auch in Serbien. Bosnien war sowieso immer durch Edo Maajka an der Spitze des Balkanraps. Der Balkan ist ein fruchtbares Land für Rap. Dort wo viel Leid herrscht, dort wo Krieg, Nationalismus und Hass dominant waren oder noch immer sind, dort gibt es viel Platz für Sozialkritik.
Und welche Unterschiede gibt es hinsichtlich der Crowd?
Also zu dieser Zeit war Hiphop am Balkan Mainstream. Tram 11 waren nonstop im Fernsehen und Radio und lieferten richtige „Staathits“, wie man das am Balkan sagt. (lacht) Doch inzwischen ist die Szene generell kleiner geworden. Rap ist nicht mehr so im Fokus und das hat sich natürlich ausgewirkt. Letztes Jahr bin ich das letzte Mal in Kroatien aufgetreten. Gane Rimatore aus Rijeka, eine lokale Größe, hat dort released und ich war Vorgruppe. Da waren schätzungsweise 200 Leute. Die alten Legenden können vielleicht noch Hallen füllen, aber grundsätzlich ist das zurückgegangen. Das wird von den Medien nicht mehr so gepushed. Natürlich gibt es dort auch Trap, aber die können nicht mehr an frühere Erfolge anschließen. Mainstream ist am Balkan generell diese Jugo-Disco-Schlager-Mukke. Und das wird halt mit Rap gemischt. Jala und Buba, die damaligen Boom Bap Rapper mit den deepen Texten, machen jetzt halt Kohle und ähnlichen Sound wie RAF Camora. Es gibt schon auch eine neue Generation, beim Auftritt waren auch 15- und 16-Jährige vor Ort.
Welchen deiner vielen Projekten hast du, sagen wir in den letzten drei Monaten, am meisten Zeit gewidmet?
Die letzten drei Monate hab ich vor allem an der Videokonzeption einer kommenden Single gearbeitet. Auf dieser Nummer ist eine österreichische Legende drauf und es freut mich besonders, da es von uns beiden noch keinen gemeinsamen Track gegeben hat. Natürlich habe ich auch ein, zwei andere Tracks aufgenommen, aber derzeit war ich leider sehr wenig im Studio aufgrund von vielen anderen Sachen. Modetechnisch habe ich die Wien bleibt stabil-Kollektion rausgebracht. Ich versuche also generell wieder das Pex-Wear-Ding größer aufzuziehen.
Außerdem bin ich im Widerstandssong „Hundert Menschen, eine Stimme“, wo auch Cornelius Obonya, Harry Stojka, Reinhard Nowak, Skero, Dissorder – das ist ein junger Rapper aus Linz – und viele andere dabei sind. Anlass war ein Gespräch mit einer befreundeten Flüchtlingshelferin, Brigitta Holzinger aus Kremsmünster, die damals verständlicherweise schlecht drauf war, weil drei Flüchtlinge aufgrund des Systems ihre Lehrstellenzusagen nicht annehmen durften. Wir saßen im Café Tachles und es waren noch zwei andere Musiker dabei, zum Beispiel der Harald Pomper, der auch den Text, bis auf den Hiphop-Teil, geschrieben hat. Klaudius Sprechtel war auch dabei. Aus dieser Sache ist ein riesiger Song geworden, den auch die Toten Hosen unterstützen. Mit dabei ist auch die Sängerin Gustav, die damals beim Protestsong mitgemacht hat. Ich feiere sie und wollte Gustav bei dieser Nummer unbedingt dabei haben.
Diese Frage hab ich dir zwar nicht geschickt, aber wie schaffst du, das alles unter einen Hut zu bringen? Was ist dein Zaubertrick in puncto Zeitmanagement?
Ich schlafe nur noch sechs Stunden. (lacht) Außerdem habe ich auch schon meine Jahre hinter mir und möchte was weiterbringen. Ich bin ein Megalomane, der irgendwo am Boden geblieben ist. (lacht) Aber am liebsten würde ich alles machen: Straßenmode, Rap, Workshops an Schulen. Momentan ist mir Jugendarbeit wichtig, wie wir das bei Gürtel Squad machen. Lukrativ ist das nicht, eher das Gegenteil. Aber die Ambition unserer Veranstaltung ist auch, die KünstlerInnen zu entlohnen und das zu honorieren, was sie machen. Wir machen das anders als andere und zahlen den jungen Leuten Gage.
Wen feierst du zur Zeit im österreichischen Rap?
A.Geh Wirklich, Def Ill und Kreiml & Samurai auf jeden Fall. Außerdem Kroko Jacks letztes Album Extraordinär. Im nächsten Leben würde ich auch gerne im Dialekt rappen können. (lacht) Leider fühle ich mich da nicht sattelfest. Der österreichische Dialekt ist aber wie gemacht für Rap. Dann feier ich auch Samira Dezaki, und noch viele andere, die mir gerade nicht einfallen.
Letzte Frage: Was ist dein Lieblingsfilm?
Wenn es um westliche Filme geht: Forrest Gump. Da steckt soviel drin thematisch. Außerdem aber Rane (Wunden), ein serbischer Film, wo es um die Kriminalität in Serbien der 90er Jahre geht.
Danke für das Interview!
KID PEX X FRESHMAKER FEAT. CHIEEL – DOMOVINA