Podcast

In Wahlkampfzeiten sind nicht nur die Städte mit Plakaten zugepflastert, auch Facebook, Twitter und Instagram gehen vor politischer Werbung über. Social Media wird für die wahlwerbenden Parteien immer wichtiger. Wer das Rennen um Follower dominiert, wer wie viel dafür ausgibt und mit welchen Strategien versucht wird, Likes zu gewinnen, lest ihr hier. 

Die Komposition der klassischen Sujets auf Wahlplakaten ist professionalisiert, Bild- und Textebene sind genau aufeinander abgestimmt. Ihre Aufgabe ist es, im Bruchteil einer Sekunde die Emotionen des Betrachters anzusprechen, Unentschlossene für sich zu gewinnen und auf Kernthemen aufmerksam zu machen. Bis auf die Liste JETZT setzen alle wahlwerbenden Parteien auf groß- oder kleinformatige Plakate. In welchem Ausmaß sie dabei auch erfolgreich sind, ist aber umstritten.

3D-Effekt

Umso mehr legen die Parteien heute ihren Fokus auf soziale Medien. Die sichtbare Oberflächlichkeit wird in scheinbare Authentizität verwandelt.  Parteipolitische Inhalte in sozialen Medien sind nicht weniger inszeniert als das analoge Plakat und nicht weniger berechnend als eine Rede auf einem Parteitag. Sie wirken aber wie spontane Einfälle und selten wie etwas, das von einem großen Team der Wahlkampfzentrale erdacht wurde. Diese Inszenierung des scheinbar Echten und aus dem Leben Gegriffenen hat einen 3D-Effekt auf eigentlich zweidimensional gestaltete Inhalte. Die ursprünglich oberflächliche Botschaft wird zu einem 3D-Bild umgestaltet. Sie wirkt plötzlich authentisch, weil sie sich vom leicht durchschaubaren Plakat ablöst und durch die Interaktionen in den sozialen Netzwerken lebendig wird.

Wie wichtig das ist, sieht man daran, wie viel Geld in Facebook-Kampagnen gesteckt wird. Allein in den letzten 30 Tagen waren es um die 120.000 Euro, die die Sozialdemokraten in solche Werbeformate steckten, die Ausgaben der Landes-, Bezirks- und Vorfeldorganisationen mitgerechnet. Pamela Rendi-Wagner hat ein Aufholrennen gestartet. Bisher galten die Sozialdemokraten nämlich nicht als Pioniere der sozialen Netzwerke. Aber auch die FPÖ und die Grünen pumpen vor der Nationalratswahl noch einmal ordentlich Geld in Werbekampagnen auf Facebook.

Aus dem „echten“ Leben

Kurze Videos sind ein beliebtes Format um diesen 3D-Effekt zu erreichen. Dabei werden „Privatpersonen“ gefilmt, die in kurzen Ausschnitten ihre Unterstützung zeigen, auf Inhalte aufmerksam machen oder knapp formulierte Botschaften verbreiten. Das Format ist auch aus vergangenen Wahlkämpfen schon bekannt. Vor der EU-Wahl dieses Jahres warb ein aus FPÖ-Spots bekannter Schauspieler für die SPÖ und 2016 wurde der Präsidentschaftswahlkampf von Frau Gertrude mit erschütternden Warnungen vor rechter Politik aufgemischt. Aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen nutzen die viralen Möglichkeiten. Die unabhängige Plattform Es bleibt dabei, die sich 2016 gegründet hat, um Alexander Van der Bellen im Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen, greift auch auf das Videoformat zurück. Unter dem Hashtag #KonservativeMitAnstand melden sich ehemalige ÖVP-Wähler zu Wort und betonen, dieses Mal aus unterschiedlichen Gründen Sebastian Kurz nicht zu unterstützen.

Auch die ÖVP selbst bedient sich des Formats im großen Stil. Sie setzt dabei voll und ganz auf das Image der Person Sebastian Kurz. In zahlreichen solcher Videos sprechen verschiedene Menschen dem Ex-Kanzler ihre Unterstützung aus, im Zentrum der Glückwünsche steht vor allem eines: Sebastian Kurz selbst. Wichtige Inhalte oder ideologische Fragen zählen weniger, seine Persönlichkeit dafür umso mehr. Die Kampagne ist auf den Spitzenkandidaten ausgerichtet, der in religiös-populistischer Manier als „unser“ Kanzler der Herzen stilisiert wird.

© Delay Magazine, Stand 18.9.2019

Partei vs. SpitzenkandidatInnen

Der türkise Personenkult wird auch durch die Zahlen der Internetgefolgschaft deutlich. Während bei SPÖ, NEOS und Grünen die Parteiseiten eine viel höhere Follower-Zahl aufweisen, locken ÖVP und FPÖ ihre Fans vor allem auf die Seiten der Spitzenkandidaten. Durch den Rücktritt von Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache wurde dieser Umstand aber zum Dilemma der freiheitlichen Partei. Mit fast 800.000 Likes auf seiner Facebookseite hatte der ehemalige Parteichef im virtuellen Raum ähnlich viele Fans wie Sebastian Kurz. Norbert Hofer liegt mit etwa 350.000 weit dahinter, die Parteiseite selbst kann überhaupt nur um die 130.000 Likes aufweisen. Das erklärt auch die Streitigkeiten um die Rechte an den geposteten Inhalten auf der Facebookseite von HC Strache. Im Vergleich zu den anderen Parteien liegt die FPÖ nichtsdestotrotz weit vorne.

Der Unterschied zwischen Partei und Spitzenkandidat ist bei der Volkspartei aber am drastischsten. Die Parteiseiten der ÖVP auf Facebook, Twitter und Instagram liegen bei einem Ranking (absolute Zahl der Follower) im hinteren Mittelfeld, während Sebastian Kurz auf allen Plattformen mit der eigenen Seite um einiges die Nase vorne hat. Dabei ist Facebook für die meisten Parteien am wichtigsten, wobei die Grünen vor allem auf Twitter besonders stark vertreten sind. Michel Reimon, der auf Platz vier der grünen Bundesliste kandidiert, ist beispielsweise für grüne Verhältnisse mit etwas mehr als 70.000 Followern ein regelrechter Twitter-Star.

© Delay Magazine, Stand 18.9.2019

Immer mehr Instagram-Nutzer

Instagram, das vor allem von Menschen unter 35 genutzt wird, scheint für die Parteien im Moment noch am ehesten Neuland zu sein. Die Zahl der Instagram-Nutzer steigt aber auch in Österreich rasant an. Waren es Anfang 2017 rund eine Million Menschen aus Österreich, die das Medium nutzten, sind es im Jänner 2019 bereits 2,3 Millionen. Es lohnt sich für die Parteien also auch abseits von Facebook die Social-Media-Strategien auszubauen.

Kalendersprüche, Kekse und Wohlfühlaktivismus

Die SPÖ setzt wie auch auf Facebook auf klassische Plakatsujets und Kalendersprüche auf weißem Hintergrund, die FPÖ präsentiert sich mit Fotos von Parteiveranstaltungen und kurzen Textinhalten ähnlich. Bei der ÖVP sticht die einheitlich türkise Optik ins Auge. Neben zahlreichen Fotos von eifrigen Unterstützern sieht man etwa Bilder von Keksen mit türkiser Zuckerglasur. Die Volkspartei hat den „Instagram-Moment“ verstanden. Während sich NEOS mit Memes und lustigen Sprüchen im Jutebeutelformat sehr jugendlich geben, ist den Grünen mit der Solidaritätskandidatur von Madeleine Alizadeh ein Coup gelungen. Die unter dem Pseudonym DariaDaria bekannte Influencerin ist in der Bilderwelt von Instagram zu Hause und hat mit 252.000 Followern eine beachtliche Reichweite. Ihr Account verkauft Beauty mit gutem Gewissen, Lifestyle mit Nachhaltigkeitsfaktor. Auf ihren Bildern sieht man sie kuschelnd mit ihrem Hund, am Traumstrand und mit Fairtrade-Kaffee. Auf geschickte Weise vermarket sie Wohlfühlaktivismus in Pastelltönen. Ob sie im Becken ihrer Follower tatsächlich nach Stimmen für die Grünen fischen kann bleibt fraglich.

Zuerst liken, dann wählen

Ein Blick in die betreffenden Statistiken reicht, um zu wissen, dass soziale Medien nicht mehr so nebenher mitlaufen, sondern sich zu einem zenralen Instrument im Wahlkampf entwickelt haben. Zukünftige Kampagnen werden an ihren Strategien für Social Media zu messen sein. Wer gewinnen will, muss wissen, wie man Botschaften dort wirksam inszeniert und wie man Fans dazu bewegt, mit den Posts auch zu interagieren. Am Ende soll ja jedes Gefällt mir  in eine gültige Wahlstimme verwandelt werden. Denn ein Follower, der einen nicht wählt, ist nicht mehr als ein leeres Versprechen.

Infos und weiterführende Links

Hier gehts zum Werbebericht von Facebook