Der österreichische Comic-Wunderwirker Nicolas Mahler veröffentlicht mit ,,Das Ritual” ein herrlich unkonventionelles Buch mit Bild, welches sich mit japanischen Großmonster-Filmen beschäftigt, jedoch dabei einen Blick hinter die Kulissen wagt. In diesem Artikel wird eine knappe Einführung in die Materie Kaiju geboten, ,,Das Ritual” rezensiert und schlussendlich auch noch der Meister höchstselbst zu Wort gebeten.
Ein ruhiger Tag, so mutet es an, die Bewohner der Großstadt gehen ihren gewohnten Tätigkeiten nach. Es ist lau für einen Frühlings-Vormittag, Insekten schwirren in der Luft, es lärmt am Gehsteig. Männer in Anzügen, hektisch am Telefon gestikulierend, zwängen sich an Trauben schwatzender Studierender vorbei. Doch da, plötzlich, liegt etwas in der Luft. Die Erde beginnt, zunächst kaum merklich, dann immer stärker, zu wanken. Sirenen heulen in der Ferne auf, das Treiben der Passanten wird hektischer. Es ist kein Erdbeben, auch kein Angriff einer fernen Nation. Grollen hängt in der Luft, die Stadt hält den Atem an. Da lugt es um die Ecke. Riesig wie ein Wolkenkratzer schiebt sich ein Schatten zwischen die Häuserschluchten. Ein schuppiges Etwas bahnt sich seinen Weg unabwendbar voran.
Der Ursprung
Filmenthusiasten dürfte ein solches Szenario sicherlich nicht unbekannt sein – schließlich wird hier ein klassisches Horror-Subgenre geschildert, überdimensionale Monster, die auf eine menschliche Gesellschaft stoßen, und Vernichtung auf ihren Bahnen zurücklassen. Manchmal treffen sie auf andere Giganten, dann wird gekämpft. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich solche Monsterfilme in Japan, speziell seitdem der erste klassische Kaiju (wie die japanische Bezeichnung der riesigen Wesen lautet, was wörtlich seltsame oder rätselhafte Bestie bedeutet), Godzilla, die Leinwand heimsucht, also seit dem Jahr 1954.
In Japan erschien eine unüberschaubare Vielfalt an Filmen, in denen Godzilla auftritt, knappe 30 Mal eroberte das atomare Wesen die Kinos, mit unterschiedlichen Gesinnungen, oft wechselnden Körpergrößen, ständig neuen, monströsen Feinden, mal kinderfreundlich, mal als Schrecken der Menschheit. Auch die Filmindustrie der Vereinigten Staaten versuchte sich bereits öfter an dem König der Monster, Godzilla, mit bislang mäßigem Erfolg. Der Godzilla aus der Roman Emmerich-Verfilmung von 1998 entpuppte sich als Desaster, viel zu weit weg vom Original war die Neuinterpretation der riesigen Echse angesetzt, das schwache Skript tat das Übrige. 2014 wurde unter Regie von Gareth Edwards ein weiterer Versuch gewagt. Dieses Mal blieb das Design deutlich näher an der original intendierten Gestalt, was auch eine zumindest annehmbare Resonanz zur Folge hatte.
Der Begriff Kaiju dürfte im Westen besonders seit Guillermo del Toros Großmonsterfilm ,,Pacific Rim‘‘ geläufig sein. In diesem kurzweiligen Werk attackieren gigantische Wesen weltweit die Menschheit, welche titanische Roboter erschafft, um diese zu bekämpfen. Was recht schwachsinnig klingt, ist für Liebhaber durchaus unterhaltsam und sehenswert, nur die Fortsetzung aus 2018 gilt es zu meiden.
Ebenso vielfältig wie die Wesen in Guillermo del Toros Kinokracher sind die Kaijus des Godzilla-Universums: Destoroyah, Anguirus, Mothra, King Ghidorah, Rodan. Hier werden nur einige der äußerst vielfältigen und kreativen Kontrahenten und Freunde der titelgebenden Kreatur der Godzilla-Filme genannt. Allesamt mit individuellen, speziellen Fähigkeiten, eigenem Aussehen – und dazu natürlich aufwendig gestaltetem Gummikostüm.
Womit wir auch schon beim Thema wären. Hinter all den Godzilla-Filmen steckt eine unglaubliche Finesse. Miniaturstädte werden akribisch aufgebaut, nur um in kurzen, one-take Szenen von Kaijus dem Erdboden gleichgemacht zu werden. Darsteller zwängen sich in enge Gummikostüme, schwitzen diese bewegungshemmenden Ungetüme voll, nur um von Filmemachern diffuse Instruktionen zu bekommen, die zu allem Überfluss auch oft genug mit inszenierten Prügeleien zwischen zwei Gummikostüm-Kaijudastellern verbunden sind. Und einer muss immer den Kürzeren ziehen.
,,Das Ritual”
Nicolas Mahler, das österreichische Comic-Genie, hat sich in seinem neuen Werk ,,Das Ritual‘‘ eben mit jenem Blick hinter die Kulissen der Godzilla-Filme beschäftigt. Was mussten Darsteller erdulden, wie wurde gearbeitet, wer hat inszeniert. Kernfigur dieses gerade einmal 64 Seiten umfassenden Buches ist niemand geringerer als – auch wenn er nicht direkt namentlich genannt wird – Tsuburaya Eiji, der Kondukteur der Spezialeffekte in einer Vielzahl von Godzilla-Streifen. Grundsätzlich verläuft Mahlers Werk auf zwei Ebenen: Bunte Passagen und Passagen in Schwarz-Weiß. Ist die Seite bunt, so befindet man sich in der wahnwitzigen Filmhandlung, Aliens greifen die Welt an, entfesseln gigantische Kreaturen, um die Menschheit zu vernichten. Kaijus entsteigen den Tiefen des Meeres, werden aufeinander losgelassen. Ist die Seite Schwarz-Weiß, blickt man hinter die Kulissen, sieht die Monster-Darsteller in den Gummianzügen, Schauspieler über die banalen Texte fluchen, hört Tsuburaya sprechen, seine Gedanken zu dem Handwerk äußern.
Was auf den ersten Blick als doch irritierend spezifische Themenwahl wirkt, ermöglicht aber auch einen gründlichen und einzigartigen Umgang mit der Thematik. Nie im Leben würde man meinen, dass der Blick hinter die Kulissen gerade bei einer Filmreihe wie den Godzilla-Streifen mindestens genauso spannend sein kann wie die Filme selbst. Was Mahler hier schafft, ist simpel gesagt großartig. Das Thema wird gleichzeitig erschöpfend aber auch reduziert behandelt, dass man nach der doch sehr kurzen Lesedauer glaubt, alles über das Thema zu wissen – und doch noch nach hundert Seiten mehr giert. ,,Jetzt müssten Sie doch genug Material für Ihre Geschichte haben. Denken Sie nicht?” wundert sich selbst der gezeichnete Tsuburaya auf einer der letzten Doppelseiten des Büchleins.
Zum Zeichenstil gibt es nicht übermäßig viel zu sagen, Mahler als Ausnahmetalent der bildlichen Darstellung punktet hier auf ganzer Linie, es ist eine Freude zu sehen, wie er den ohnehin bereits kreativ designten Kaijus noch seine persönliche Note aufdrückt. Eine absolute Empfehlung, nicht nur für Godzilla-Fans, nicht nur für Mahler-Fans, viel mehr für alle an Kuriositäten Interessierten, die auf 64 Seiten eine vollkommen neue Welt kennen und lieben lernen wollen.
Das Interview
Da wird derart begeistert von dem Werk waren, haben wir uns mit dem Künstler höchstselbst im Wiener Café Jelinek getroffen, um über sein neuestes Werk, seine Liebe zum Film und seine Verbindung zum Film-Museum zu sprechen – wo er am 06.01. ,,Das Ritual‘‘ persönlich präsentieren wird, gefolgt von einer Sondervorführung des ersten Godzilla-Films.
Wie kam das doch recht spezielle Thema des Making-Of von Kaiju-Filmen, hier im speziellen Godzilla, in dein Blickfeld?
Nicolas Mahler: Godzilla-Filme habe ich mir schon immer angesehen, schon als Jugendlicher. Ich war immer auf der Suche nach komischen Filmen, lustigerweise hat es aber gerade die Godzilla-Filme nie gespielt. Zwar waren sie in den 70ern im deutschsprachigen Raum in kleineren Kinos recht allgegenwärtig, aber mir sind nie welche untergekommen. Die Filme waren also schwer zu kriegen, also hatte das für mich immer einen gewissen Reiz. Als ich die Streifen dann im Fernsehen wiedergefunden habe, bin ich aufmerksam geworden. Durch die Optik, durch den gewissen Trash-Faktor. Jahrzehnte später bin ich dann auf ein Buch gestoßen, ,,Master Of Monsters‘‘, welches Tsuburaya zum Thema hatte. Da waren recht viele Schwarz-Weiß-Fotos von den Dreharbeiten drinnen, wo er neben den Kulissen steht, neben Godzilla, der grade seine Gummimaske runternimmt, und Tee trinkt und so weiter. Die Fotos fand ich gut, das war ideal. Kurz darauf war ich in Japan, wollte auch etwas über Japan zeichnen. Also warum nicht alles zusammenbringen, mit Tsuburaya als Helden, und ein paar Godzilla-Szenen aus den Filmen übernehmen und reinzeichnen, einfach zum Spaß, mit ein paar japanischen Klischees rundherum.
Würdest du dich bei solchen Filmen eher als Darsteller oder eher als Mann hinter den Kulissen sehen?
Da wäre ich glaube ich schon eher Tsuburaya. Darsteller ist, glaube ich, schon ein harter Job. Auch in dem Buch sind die Leiden der Kostümierten geschildert, etwa in der Szene, als der Godzilla-Darsteller im Kostüm von Panzern beschossen wird, das hat es wirklich gegeben! Die haben wirklich Verletzungen davongetragen. Das war 1:1 das, was man im Film sieht. Wenn da also so ein Godzilla auf ein Hochhaus stürzt, dann ist der Schauspieler auf das Hochhaus gefallen. Wenn er sich dabei verletzt hat, Pech gehabt. Da wurden schon blaue Flecken davongetragen, oder, weil es so heiß war, kollabierte man schon mal im Kostüm. Das war ja alles, wie ich es auch schreibe, ,,ehrliches Handwerk‘‘, das ist alles so vorgefallen. Ein Zitat aus einem anderen Interview ist mir hier in Erinnerung geblieben, wo bei einem solchen Modell-Bauer nachgefragt wird: ,,Sie haben eine Stadt aufgebaut, was ist, wenn der Darsteller einen falschen Tritt gemacht hat, oder schlecht umgefallen ist?‘‘ Dann lachte er und meinte, er würde dann einfach noch eine Stadt aufbauen. Also alles ohne doppelten Boden. Die kleinen Schildchen auf den Miniatur-Shops etwa, alles handgemalt. Wenn dann aber die Sturzflut gekommen ist im Studio, und alles weggespült hat, das war nur ein Take, keine zweite Chance.
Das Zitat auf der Rückseite deines neuen Werkes lautet: ,,Nur Männer im Gummikostüm vermitteln ein bestimmtes Gefühl.” Wäre es also nicht auch reizvoll, als Kaiju durch eine Miniaturstadt zu stapfen?
Also selber zu stapfen? Ich glaube es ist reizvoller, es sich von außen anzusehen. Während man das persönlich macht, kriegt man davon wohl nicht so viel mit, ich glaube, dass man da eher ins Nichts stapft. Durch den Gummianzug hat man auch nicht das unmittelbare Gefühl der Zerstörung. Es ist vermutlich eher mit dem Gang durch ein Schneegestöber zu vergleichen. Von außen sieht es super aus, aber währenddessen sieht man ja nichts. Von außen denkt man sich, skurriler Job, wenn du drinnen bist, hat man gerade mal einen Sehschlitz, man sieht nicht einmal die eigene Hand. Interessant wäre es zu wissen, ob es da DIE Schauspieler gibt, die den speziellen Godzilla-Schritt können, oder ob da jeder ran darf. Ob das eine Schule der Bewegung ist, denn sie bewegen sich schon alle recht gleich. Sie müssen sich langsam bewegen, damit sie groß wirken, wenn man sich schnell bewegt, wirkt man automatisch kleiner, je langsamer, desto größer.
Es gibt noch aktuelle Kaiju-Filme, etwa Pacific Rim. Da setzt man aber vermehrt auf CGI-Effekte. Ist das weniger reizvoll für dich?
Nein, das reizt mich überhaupt nicht. Deshalb auch das Zitat mit den Gummikostümen. Das Zitat ist übrigens von einem anderen Filmemacher. Ich habe den Text ziemlich zusammengeschustert, aus verschiedenen Interview-Texten. Ich habe mir auch von den neuen Godzilla-Filmen die Kommentare angehört. Die neuen Regisseure sind ja auch hauptsächlich so Nerds, die mit den alten Filmen aufgewachsen sind. Dann gibt’s auch noch Dokus, da analysieren neue Filmemacher die alten Filme. Das habe ich mir alles angeschaut und ab und zu Zitate notiert. Zum Beispiel: ,,Ich wollte nie Geschichten erzählen, ich wollte nur Rituale inszenieren‘‘ ist auch nicht Tsuburaya , sondern von irgendjemandem, der Name ist mir entfallen. Das Gummikostüm-Zitat ist ebenfalls von einem anderen Filmemacher, von einem jüngeren, also nicht von Tsuburaya .
Es ist eben dann die Frage, macht man es computeranimiert, oder nicht? Beim letzten Godzilla-Film, Shin Godzilla, da gibt’s auch klassische Gummikostüm-Szenen, selbst in Nahaufnahmen. Ob aus Nostalgie oder Kostengründen, weiß ich nicht. Die haben so viel animiert, da hätten sie den auch animieren können. Mich interessiert so animiertes Zeug so überhaupt nicht. Wobei bei dem letzten Streifen waren einige Szenen schon ganz gut, etwa als Godzilla noch halb Fisch durch die Großstadt robbt. Es hat aber einfach einen anderen Reiz, zu wissen, hier wurde eine Miniaturstadt aufgebaut, und da schreitet jetzt einfach ein Typ im Kostüm durch und haut drauf. Auch Darsteller von vierbeinigen Kaijus, die mit abgewinkelten Beinen im Kostüm herumrobben, das finde ich einfach gut. Wäre das jetzt ein vollanimierter Godzilla-Film, das würde mich überhaupt nicht interessieren.
Der Reiz dabei ist schon in gewisser Art und Weise wie durchsichtig der Film gemacht wird. Obwohl es eine Modellstadt ist, ist hier alles liebevoll und minutiös zusammengebaut. Einerseits sind die Sets unglaublich detailverliebt, in einer Dokumentation wurde das fertige Set mit dem Ausgangsfotos von der Innenstadt Tokios verglichen, es ist bis auf die kleinste Laterne übereinstimmend. Andererseits haut dann der Godzilla-Darsteller ein einziges Mal drauf, und man sieht sofort, Pappkarton, dass das alles nicht echt ist. Das ist schon lustig. Vielleicht ist auch die Zerstörung dadurch interessanter. Wäre es eine CGI-Szene, wäre es keine tatsächliche Zerstörung. So weiß man aber, es wird wirklich etwas zerstört, es ist aufgebaut worden, es ist realer als eine Computer-Animation. Computeranimierte Zerstörung ist uninteressant. ,,2012” habe ich mir nicht einmal angeschaut, wenn schon zerstört wird, muss richtig zerstört werden, auch wenn es nur im kleinen Rahmen ist. Es hat jemand das Schild mit Hingabe gemalt, und Godzilla ist draufgestiegen! (lacht)
Wie hast du die Kaiju-Auswahl getroffen? Etwa das große Wesen mit Tentakeln im Gesicht erinnert ein wenig an Cthulhu..
Lovecraft? Mit dem bin ich nie ganz warm geworden. Da finde ich die Konzepte und Ideen interessanter als die eigentlichen Geschichten. Tatsächlich ist das ein Oktopus-Wesen aus dem Godzilla-Franchise. Der kann sich ganz schwer an Land bewegen, wenn er aus dem Wasser geht, hängen die Tentakeln an Fäden, und unten sieht man, wie er die Füße in den Fangarmen drinnen hat, die schleift er nach wie riesige Pantoffeln. Die meisten Monster basieren auf ,,echten‘‘ Kaijus. Mothra, Rhodan, teilweise sind sie aber auch improvisiert und zusammengesetzt. Man sollte sie aber sowieso nicht so genau erkennen, ich habe ja nicht die Rechte an den Figuren.
Hast du einen Kaiju-Liebling?
Besonders super finde ich den Kleinen mit Stacheln (Anguirus, Anm. d. R.), der kommt in meinem Buch auch vor. Schaut ein bisschen aus wie eine mutierte Schildkröte. Es hat mich einfach amüsiert, wie die Darsteller damit umgehen. Eigentlich können sie ja überhaupt nichts machen, sie haben ja alle Pfoten am Boden, und doch kämpfen sie irgendwie, das ist schon super. Der kann gerade mal das Maul aufreißen, ansonsten wird er ja nur am Schwanz gepackt, durch die Luft gewirbelt und dann durch das Filmstudio geschmissen (lacht). Die Darsteller waren vermutlich die, die in der Hierarchie ganz unten waren. Der Godzilla-Darsteller kann ja wenigstens irgendwas machen, die Hände bewegen und so. Aber der Andere kann ja nur am Boden herumrobben und durch die Luft geschmissen werden. (lacht)
Du präsentierst dein neues Buch ,,Das Ritual” im Filmmuseum Wien. Was verbindet dich mit dem Filmmuseum und Filmen generell?
In den 80ern war ich fast täglich im Filmmuseum, immer auf der Suche nach Filmen, die man nicht so leicht findet. Ich hab mir Stummfilme angeschaut, Filme aus den 30er-Jahren. Da war ich schon sehr begeistert, Murnaus ,,Nosferatu‘‘ und so, das waren schon die großen Filme. Das war ein genialer Regisseur, wo kaum jemand mithalten kann. Auch ,,Der letzte Mann‘‘, von der Bildgestaltung, ein Wahnsinn. Viele alte Filme schaut man sich jetzt an, wegen historischem Interesse, das muss man schon mitdenken. Aber das sind Filme, die funktionieren auch jenseits dessen. Deutsche Stummfilme waren schon sehr prägend für mich. Auch Marx-Brothers-Filme, so alte amerikanische skurrile Komödien, auch Horrorfilme, etwa von James Whale.
Die Entwicklung zu Serien hin nervt mich unglaublich. Ich finde das ist Brainwashing, etwas zu Tode reiten. Ich finde nichts Tolles daran, wenn man 10 Stunden braucht, um eine Geschichte zu erzählen, ich empfinde das eher als Versagen. Mir gefallen frühe amerikanische Filme, mit einer Laufzeit von 64, 72 Minuten, super, die müssen kompakt die Geschichte erzählen, jeder Dialog muss sitzen. Bei Serien gibt es Hänger, die dauern drei Folgen lang, bei solchen kurzen Filmen ist da keine Zeit. Ich würde auch fast jeden Film um eine halbe Stunde schneiden. Ich empfinde das als Versagen, wenn man zweieinhalb, drei Stunden braucht. Es gibt viele Filme, da denke ich mir, das wäre komprimiert besser. Tarantino ist mir zu lange, für mich sind das einfach dumme Filme, richtig blöde Filme. Das würde ich ja okay finden, er bezieht sich ja auf lauter Trash-Filme, aber die kann ich mir anschauen, im Hinblick auf ein paar interessante Passagen, als kurze Gebrauchsfilme. Aber wenn die Tarantino-Version kommt, ist die genauso blöd wie das Original, nur angeberisch, so als hätte es mehr Ebenen, aber es ist einfach nur Trash, aber unehrlicher, geschwätziger Trash. Trash sollte nicht geschwätzig sein. Lars von Tier ist eine andere Liga, der ist auch teilweise nervend, aber da kann man sagen, das gehört so.
Warum glaubst du, dass Graphic Novels im deutschsprachigen Raum noch immer mit einem gewissen Stigma verbunden sind?
Ich glaube es ist kein Stigma, es gibt einfach kein breites Interesse vom Buchhandel und Publikum daran. Man kann es nennen wie man will, es wird immer ein gezeichnetes Buch sein. Und ein gezeichnetes Buch ist immer eine Nische – wie ein Zeichentrickfilm. Kommt so ein Film ins Kino, werden von, sagen wir, 100 Leuten, die Interesse an neuen Filmen haben, 90 sagen, das ist gezeichnet, den schau ich mir nicht an. Das verstehe ich auch. Ebenso ist es mit dem gezeichneten Buch. 95% interessiert es nicht, ein Buch soll geschrieben sein, so will man es lesen. Das ist auch verständlich. Wenn es nicht geübt ist, ist man einfach überfordert. Viele können es gar nicht lesen, viele wollen lieber eintauchen, von einem geschriebenen Buch hat man länger etwas. Ein Comic ist sehr schnell ausgelesen. Außerdem sind viele Publikationen komplex, das muss man sich erarbeiten. Ich bin geübter Comicleser, hab aber auch teilweise Schwierigkeiten einzutauchen.
Lustig finde ich, wenn behauptet wird, Comics sind eine Einstiegshilfe zur ,,richtigen‘‘ Literatur, als wären sie anspruchslos. Comics sind teilweise viel anstrengender zu lesen als ,,wirkliche‘‘ Literatur, da ist viel mehr zu verknüpfen. Es ist eine Arbeit, es ist keine lustige Entspannung, eintauchen kann ich eher bei einem Buch. Da muss man ein Liebhaber sein vom Buchobjekt oder Zeichnungen, das war immer eine Nische.
Gibt es schon Pläne für zukünftige Projekte?
Als nächstes wird es eine Kollaboration mit Jaroslav Rudiš geben, ,,Nachtgestalten”, eine kleine Geschichte mit wirklich lustigen Dialogen. Danach wieder eine Literaturadaption, das ist ein wenig ins Stocken geraten bei mir, da muss ich mich aufraffen. Es wird ,,Ulysses‘‘ werden, damit die drei vom Tisch sind, nach ,,Mann ohne Eigenschaften‘‘ und ,,Suche nach der verlorenen Zeit‘‘.
,,Mann ohne Eigenschaften‘‘ ist von den drei Büchern wohl das leichteste. ,,Ulysses‘‘ ist seitenweise voll Sprachspielereien. Das Positive ist, man ist relativ frei bei der Adaption. Das Buch ist großteils eine Spielerei, man kann es also dementsprechend bearbeiten. ,,Ulysses‘‘ ist teilweise so sperrig und unverständlich, dass man sich denkt, na gut, man kann eine sperrige und unverständliche Adaption machen, und es wird dem Werk trotzdem gerecht. Ein spannender Krimi ist schwieriger zu adaptieren, da muss ein spannendes Werk draus werden. Wenn du ein wirres Ding hast, kannst du ein wirres Ding daraus machen.
Vielen Dank für all die Antworten! Die letzten Worte würde ich gerne dir überlassen.
Aha, zu welchem Thema? Weil mir fallen meistens keine letzten Worte ein.
Ob mir noch was am Herzen liegt? Meine Essenz ist: Es sind alle Bücher zu dick und alle Filme zu lang. Das war auch ein Wunsch von mir, dass das Buch nur 64 Seiten hat. Weil, worum geht es? Um die Farben, um das Künstliche, um die Figur einzuführen, eigentlich nicht um eine Handlung. Deshalb ist es angemessen, den Rahmen überschaubar zu lassen, sonst wird es eine Leserbelästigung. Es kommt mir alles so lang und ausufernd vor, als gewisse Wichtigtuerei. Und da würde ich gerne meinen Beitrag leisten, dass man davon wegkommt, dass Bücher eben nicht dick sein müssen, um einen Wert zu haben. Es kann auch etwas klein sein und nebenher, es ist nichts Großes, das stört ja nicht, man muss nicht zwangläufig Kleines auf etwas Großes aufblasen. Wenn ich eine Aussage habe, dann die.