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Ich war bei meinem ersten virtuellen Konzert und es war witzig. Ein Review zu diesem Cluberlebnis mit Wohnzimmerflair. Im Rahmen der Support Initiative United we stream und einem Crowdfunding Aufruf auf Startnext lud der Hamburger Ableger der Initiative virtuell zu Afrob Dj Stylewarz in den Club Übel und Gefährlich!

Afrob & DJ Stylewarz

Mit Ausbruch des Coronavirus und den damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens mussten kreative Ansätze für Clubs und Veranstalter her. Arte Concert und weitere Sponsoren haben die Initiative United we stream ins Leben gerufen. Das Ziel ist die Erhaltung der Clublandschaft. Das Ganze hat seinen Ursprung in Berlin, mittlerweile haben sich auch weitere Städte – darunter auch Wien – angeschlossen.

Parallel zu den Veranstaltungen können Solitickets für die Locations gekauft oder es kann direkt über Startnext gespendet werden. Auf der einen Seite wird versucht, durch Fundraising Beschäftigte im Clubbetrieb, Clubs, Veranstalter und Musiker zu supporten. Auf der anderen Seite, Gästen ein Konzerterlebnis, sowie Club-Feeling ins Wohnzimmer zu transportieren!

Wer von euch Lust hat, das Konzert nachzuschauen, kann dass gerne HIER MACHEN.

Mal pünktlich bei einem Konzert

Ich bin viel zu pünktlich für ein Konzert, ich betrete den Livestream gerade mal 12 Minuten nach dem Beginn. Es ist früher Abend an einem Dienstag, um genau zu sein 19:12, als ich mich einlogge. Facebook zeigt mir an, dass 655 mit mir gemeinsam den Livestream betrachten. Ist das viel für ein Livestream Konzert? Wie sich im Laufe des Abends aber noch zeigen wird, steigt die Besucherzahl noch leicht nach oben. Das muss wohl bedeuten, dass die anderen Konzertbesucher ebenso pünktlich wie ich hier waren. Sehr löblich.

Da es keinen Smalltalk in der Schlange oder bei den Garderoben gab, stürze ich mich in die Kommentare. Ich versuche rauszufinden, was für Menschen eigentlich hier sind. Wie bei einer Afrob & DJ Stylewarz Show zu erwarten ist, ist die Nostalgiedichte in den Sprüchen und Kommentaren doch recht hoch. Daraus leite ich ab, dass das Publikum wohl eher aus alten Hip-Hop Heads besteht. Es werden viele 90er Anspielungen gemacht und „Sachen von früher“ gefordert.

DJ Stylewarz als Vor-Act

Afrob & DJ Stylewarz

Ghassan Seif-Wiesner © 2020

Ich sitze alleine im Wohnzimmer, lehne mich in meinem Sessel zurück und denke mir: „Endlich mal Platz auf einem Konzert!“, während DJ Stylewarz einen smoothen Einstieg hinlegt. Die Stimmung in den Kommentaren ist enthusiastisch und Leute markieren laufend ihre Freunde.

DJ Stylewarz ist Klassikern gegenüber nicht abgeneigt und kombiniert diese wunderbar mit tanzbaren Beats. Phasenweise werden auch Dubstep lastige Nummern rein gemixt und dienen als wunderbare Ergänzung des Sets. Musikwünsche an den DJ werden derweil schamlos in die Kommentare geschrieben und berechtigterweise auf der Bühne einfach ignoriert. Wie bei einem richtigen Konzert also. Man kann im Chat deutlich beobachten, wie die Like- und Emoji-Dichte bei jedem Klassiker raufschießt.

Und als sich mein erstes Bier langsam dem Ende zuneigt, merke ich wie ich anfange, dabei Adrenalin zu pegeln. Die virtuelle Stimulation in Kombination mit guter Musik funktioniert, und den Rest erledigt wohl der Alkohol. Ich fange langsam an, mitzuwackeln und auch mal die Arme nach oben zu schmeißen. Bei bekannten Nummern, versuche ich natürlich auch mitzurappen. Es ist mittlerweile 19:25, ich mach mir mein zweites Bier auf und hab endlich genug Mut beisammen, um Freunde in den Kommentaren zu markieren und WhatsApp Einladungen zu verschicken. Die meisten ignorieren mich, nur mein Schwager kommt hinzu, vermutlich aus familiärer Verpflichtung heraus.

Um 19:35 spielt DJ Stylewarz als letzte Nummer vor der Desinfektions- und Umbau-Pause „Der Zug rollt“ von Advanced Chemistry. Der virtuelle Saal kocht. Leider wird der Track aber nicht zu Ende gespielt, es kommt davor zum Abbruch. Ein Standbild erklärt uns, dass nun eine Desinfektions- und Umbau-Phase folgt. Manche Besucher sind über das abrupte Ende etwas verärgert, sie hätten den Track gerne zu Ende gehört, ich ebenso.

Vorhang auf für Afrob 

Afrob & DJ Stylewarz

Ghassan Seif-Wiesner © 2020

Um 19:40 nach der kurzen Pause betritt nun Afrob mit seinem Live DJ  die Bühne. Der virtuelle Raum füllt sich, die Besucherdichte ist um ca. 100 Personen angewachsen. Das Setting ist für einen Musiker sicher herausfordernd, die so wichtige Interaktion mit dem Publikum ist hier de facto nicht vorhanden. Als absoluter Profi scheint das aber Afrob nichts auszumachen. Man merkt es nur dezent in den Sprechphasen zwischen den Songs. Als Afrob Applaus einfordert, wird er mit Herzchen-Emojis überschwemmt. Und viele Besucher bedanken sich bei Afrob für den authentischen „childhood Flashback“. An dem Punkt stell ich mir die Frage, ob der DJ hinten oder Afrob irgendwo die Möglichkeit haben, die virtuellen Reaktionen als Motivation mitzuverfolgen. Einen authentischen Konzertmoment bekommen wir nach den ersten drei Songs geboten. Die Künstler bitten den Tontechniker, etwas mehr „Wumms“ auf die Monitorboxen zu legen, ein Klassiker sozusagen.

Ein (fast) authentisches Konzerterlebnis

Nach ein paar Nummern zum Einschwingen, dropped Afrob die erste Bombe: Es ist Zeit für „Rap ist“. Als ich komplett am Abgehen bin, piepst leider im Hintergrund meine Waschmaschine, ein leichter Abturn, der mich daran erinnert, dass wir hier immer noch nur im Wohnzimmer sind. Ich kümmere mich schnell um das Mistding und kehre vor meinen Bildschirm zurück.

Ghassan Seif-Wiesner © 2020

Ein Musiker wie Afrob hat ein unglaubliches Angebot an prägenden Hip-Hop Nummern, immerhin kann er auf ein Repertoire zurückgreifen, welches über 20 Jahre Musikgeschichte abdeckt. Und so hält es auch der Künstler während des Konzerts, eine bekannte Nummer reiht sich an die nächste. Er spielt unter anderem einen Part aus „Adriano“, was mich daran erinnern, dass Xavier Naidoo, zumindest öffentlich, nicht immer der glühende Nazianhänger war, der er heute ist.

Ich werde durch die nächste Nummer und den Worten „Ich weiß das, was ich weiß, das weiß ich!“ aus meinen Gedanken geholt und konzentriere mich wieder auf den rappenden Afrob. Die Setlist besticht weiterhin durch Hitdichte und Mitsing-Momente und ist einfach cool zum Abgehen.

Ab in die Zukunft

„Ihr wisst ja, manche Sachen polarisieren – Ich mag neue Sachen

Die Oldschooler von früher mögen es überhaupt nicht, dass ich neue Sachen mag“

Mit diesen Worten kündigt Afrob seine „neuen“ Sachen an. Ich denke, dass hauptsächlich Nummern von der letzten Platte, sowie Produktionen danach gemeint sind. Dabei legt er einen interessanten Stil an den Tag. Was da stattfindet, kann durchaus als Trap bezeichnet werden. Jedoch behält Afrob hierbei seine Oldschool-Rap-Art. Dadurch entsteht ein sehr eigener Mix, der aber absolut harmoniert. Viele der Sachen habe ich zum ersten Mal gehört und muss sagen, dass sie mir sehr gefallen haben.

Afrob & DJ Stylewarz

Ghassan Seif-Wiesner © 2020

Nach einer Viertelstunde ist dann der Newschool Spaß wieder vorbei. Wir nehmen den Bus zurück zur Oldschool, wo Afrob uns noch ein paar Tracks präsentiert, bevor er mit dem absoluten ASD Banger „Sneak Preview“ das Konzert zu Ende bringt.

Resümee

Abschließend kann man sagen, für ein virtuelles Konzert war es unterhaltsam. Aber alleine vor dem Bildschirm, bleibt alleine vor dem Bildschirm. Ein vollwertiger Konzertabend kann durch einen virtuellen Clubbesuch leider nicht ersetzt werden. Ich war nach dem Konzert glücklich und leicht betrunken, aber leider nicht verschwitzt. Dazu hat dann der Kontakt zu den anderen Menschen und die Crowd einfach gefehlt. Jedoch ist es eine sehr gute Möglichkeit für Clubs, Veranstalter & Musiker Kunst und Kultur stattfinden zu lassen. Und für uns Besucher eine Chance, von zuhause aus Shows genießen zu können. Die Spendenoption ist dabei ein schöner Nebeneffekt, der eventuell dazu beitragen kann, dass der ein oder andere Club die Corona-Situation besser überstehen.

Weiterführende Links

United We Stream Hamburg 

Übel & Gefährlich