Das ELEVATE FESTIVAL in Graz stand in der heurigen Ausgabe unter dem Motto RISIKO/COURAGE.
Der alternative Slogan hätte aber auch gut und gerne “Curse you, Global Warming!” heißen können: der späte Wintereinbruch ließ das eine oder andere Artist-Flugzeug nicht starten bzw. landen oder sorgte zumindest für einiges an Durcheinander in so manchem Timetable. An dieser Stelle große Props an das Elevate Team, die es in beeindruckend kurzer Zeit schafften, adäquaten Ersatz für die diversen ausgefallenen Gigs zu finden und auch zu booken; chapeau!
Als mich mein guter Freund M., der für eine gar nicht mal so kleine Ö-Tageszeitung im Kultur-Teil schreibt, gefragt hat ob ich heuer für Ihn wieder das Elevate fotografieren würde, musste ich nicht lange überlegen: es war die letzten beiden Jahre immer ziemlich super gewesen. Heuer müsste ich allerdings alleine hin. Er hat Wochenenddienst aufgebrummt bekommen und könne nur von Wien aus meine Fotos sowie Eindrücke empfangen. Aber dennoch ein ziemlicher NoBrainer. Schließlich ist Graz meine Heimatstadt und das Elevate ist zwischenzeitlich mein einziger Bezugspunkt dorthin. So hieß es donnerstags: Rein mit dem FlixBus (meine traurigen Versuche eine Mitfahrgelegenheit via Facebook zu organisieren blieben traurig) ins grüne Herz.
Eins vorweg, ich war bei keiner einzigen Podiumsdiskussion oder Diskursprogramm. Zum Einen weil M. nur Content von den Musikperfomances haben wollte, zum Anderen weil die meisten dieser Programmpunkte zu Zeiten waren, an denen ich noch der Deadline hinterherhechelte oder schlicht und ergreifend zu verkatert war um hinzugehen. Im Nachhinein scheint besonders die Diskussionsrunde um das russische Künstlerkollektiv Voina (der auch Pussy Riot entsprangen) die meiste Aufmerksamkeit bekommen zu haben. Es dürfte anscheinend recht wild abgelaufen sein. Julian Assange‘s Eröffnungsrede (er war via Livestream zugeschaltet) soll wenig Neues geboten haben, wie ich Augen- & OhrenzeugInnen – Aussagen entnommen habe. Müde und erschöpft soll er gewirkt haben.
Donnerstag Abend ging es bei strammen -15° Celcius in das Mausoleum Kaiser Ferdinands II. direkt neben dem Grazer Dom – einer in diesem Jahr erstmals am Elevate bespielten Location. Die massiven Steinwände der Katharinenkirche konservierten die Kälte hervorragend, bereits nach fünf Minuten konnte ich trotz zweier Paar Socken sowie Einlagen meine Füße kaum noch spüren. Was relativ bald aber nicht mehr so schlimm war als der bosnisch/schweizerische Akkordeonist Mario Batkovic die heilige Halle betrat. Dieser ist auf dem INVADA Label von Portisheadhoncho und Soundtrackgott Geoff Barrow beheimatet und es wurde schnell klar, warum: seine getragenen, tieftraurigen Kompositionen erfüllten den spärlich beleuchteten, hohen Raum mit großer Eleganz. Einer seiner Tontechniker lief zwischen den Songs durch die Reihen der Kirchenbänke und zeigte Ihm per Handzeichen den nächsten Backingtrack an, Batkovic scherzte sympathisch über die Kälte, der Weihrauch duftete. Manchmal fühlte ich mich an das sträflich unterschätzte Ehepaar von Clay Rendering erinnert. Und das ist wahrlich nichts Schlechtes. Das nah am Vermummungsverbot schrammende Publikum flüchtete immer wieder nach draußen um mit Glück noch ein heißes Getränk zu ergattern. Die Außenbar aber ächzte unter den Temperaturen.
Danach kam es schon zur ersten (und bei weitem nicht letzten) Absage des Festivals: der Flieger von Peter Broderick (Erased Tapes) konnte in Dublin nicht starten. Was aber für die Booking-Hexer vom Elevate anscheinend kein Problem darstellte. Mit Federico Albanese stand pünktlich hochwertiger Ersatz zur Verfügung (rumour has it das Albanese erst anderthalb Stunden vor seinem Abflug von seinem Glück erfahren haben soll). Der italienische Pianist mit einem Faible für verrückte Aufnahmetechniken hat ua. schon auf dem wunderbaren Denovali Label released; seine geloopten Pianomelodien passten großartig zur sakralen Stimmung. Ebenfalls großartig: der Wikipedia-Eintrag über das Mausoleum, welcher so fantastische Sätze wie “Das Gebälk kragt stark vor und ist über den Vierungspilastern verkröpft” enthält. Ein Traum.
Viel Zeit blieb nicht um ins Forum Stadtpark zu gelangen wo im Keller die sogenannte Dunkelkammer bespielt wurde; ein rein auditives Erlebnis, quasi.
Aber ehrlich gesagt keine Ahnung, denn ich kam zu spät, ergo auch nicht mehr rein. Will Guthrie (iDEAL) zeugelte ein Percussion-Set samt Gong und anderem lauten Pipapo, von außen klang das ganz schön hui. Mein Bekannter G., den ich bei der Öffnung der Türen erspähte, meinte das er dann doch recht bald raus wollte weil es einfach zu intensiv wurde (und G. ist bei weitem kein Verächter radikaler Klänge). Na gut, dafür eben Rashad Becker (PAN). Die Berliner Legende brachte den IKO 3D SOUND SPEAKER mit, der noch am ehesten als überdimensional großer TippKick-Ball mit Membranen darauf beschrieben werden kann. Das pluckerte & schabte dann schön musique concrete-isch über das in Kreisformation sitzende Publikum; an irgendeinem Punkt musste ich an die Monolithen-Szene aus 2001: A Space Odyssey denken und beschloss das es Zeit für ein letztes Bier sowie dem Heimweg war.
Freitag begann dann mit einer feinen Überraschung im ehrwürdigen Orpheum: der Timetable wurde getweakt, womit der Großmeister Fennesz (Editions Mego) den Abend eröffnete. Auf der Bühne unterstützt von dem Visualisten Lillevan mäanderten sich beide durch ein Set, welches den Begriff “hypnotisch” schon fast neu definierte. Die extrem präsenten Visuals flirrten um die Soundcollagen herum und erzeugten REM-Schlafähnliche Zustände, in a good way. Weniger zu erwarten wäre fahrlässig gewesen. Ben Frost (Mute) machte kurz darauf seinem Namen alle Ehre und legte einen eiskalten Auftritt hin: In wabernden Blau oder stroboskopischen Weiß schob er sein Noise/Industrial/Ambient-Amalgam mit einer Wucht ins sitzende Publikum, dass dieses wohl froh war nicht zu stehen. Schallfeld Ensemble sowie die tollen Tina Frank & Mia Zabelka lies ich daraufhin aus, um ja nicht Wandl (Affine) im Dom im Berg zu verpassen (nur um dann Wandl im Dom im Berg zu verpassen). Die extrem supere Sofie Fatouretchi (Stones Throw) sah ich schon gar nicht, da Sie noch früher spielte. Unbedingt Ihr “Boiler Room London”-Set ansehen, schwerste Empfehlung.
Die Wiener Performance-Formation KlitClique stand danach im leider noch sehr spärlich besuchten Dom auf der Bühne und machte Ihr Ding. Als ich Tags darauf M. mein Eindrucks-BlaBla schickte ging es mir wohl wie Karl Fluch, der eine Konzertkritik über Christian Schachinger schreiben müsste: unangenehm. Vor allem da die Klitclique musikalisch in die Kerbe der ganzen Yungs und Lils schlägt, die sich mir nie ganz erschließen will. Bisschen Trap hier, viel Autotune da, fertig; das ganze vorgetragen in der hyperpostironischen Scheißegal-Attitüde eines Richter-Klasse-Bildes. Nachdem ich wesentlich später an dem Abend schon mächtig intoxikiert zusammen mit meinem nicht wirklich fitteren Kumpel P. ein Interview für einen bekannteren österreichischen “Jugend”-Sender gab, fühlte ich mich primär alt, weiß & männlich. Vielleicht sollte man Typen, die schon weit auf der wrong side of thirty stehen, einfach nicht über aktuelle Phänomene schreiben lassen. Wie dem auch sei, gegen Mitte Ihres Gigs füllte sich der Dom endlich gut und auch die Performancetänzerin Flo Holzinger durfte mitmischen; leider ohne Kettensäge. Den Preis für die besten Zwischenansagen hatten Sie da schon längst in der Tasche: der Bachmannpreis für Stefanie Sargnagel wurde gefordert, HC und Basti suchten ihre Hoden/Drogen am Boden. Ziemlich groß. Weiter gings mit dem herrlich aufgedrehten Cakes Da Killa (Ruffians), der vor allem oft die Publikumsinteraktion und -nähe suchte. Auf meinem Notizzettel steht bei ihm nur “Queer Vince Staples”. Ob Ihm das gerecht wird… ich glaube es nicht. Das nächste Festival-Ausfall-Opfer war dann Iglooghost, ebenfalls weil Flugzeug something something. Irgendwie wurde aber der fantastische Kutmah (Brainfeeder/Big Dada) aus dem Hut gezaubert (mein Tipp ist via der Sofie-Connection), einer der spannendsten Beatbastler dieser Tage. Der musikalische Tausendsassa Nosaj Thing (Innovative Leisure) ließ dann das Programm am Domfloor ausklingen. Etwas weiter oben im sogenannten Tunnel ging es wesentlich brachialer zu Sache, Discwoman Umfang (Technicolor) schallerte ein roughes Set hin, ja bist du. Das schmale Backsteingemäuer lieferte auch einen herrlichen 90er-Rave-Vibe dazu. Und Objekt (PAN) erinnerte mich mit seinen synkopischen Breakbeats an eine längst vergessene Zeit, als Drum&Bass noch spannend war – gefühlte 100 Jahre her. Später spielten auch noch andere Leute und irgendwann ging das Licht an, aber dazu gibt es keine Memoiren mehr.
Samstag war dann der Tag, für den die meisten Menschen angereist sind: Es war DJ Koze Tag! Irritierend früh um 18:30 angesetzt, aber dank dem schon fast zuverlässigen Schwierigkeiten-Wetter gab es einen weiteren switcheroo: Steffi (Ostgut Ton) stand als Erste auf der Bühne und groovte das schon gut besuchte Orpheum ein, kein Verlust für niemanden. Altmeister Roman Flügel (Dial) machte das, was er am Besten kann: nämlich straighten, seriösen Techno. Kurz vor 21:00 trudelte ER dann endlich ein und sollte bald auftreten, der Mann der vielen Namen. Kosi Kos, Adolf Noise, Monaco Schranze oder einfach Stefan Kozalla. Der Pampa Labelboss war in the house! Und Jössas, hat er delivered. Der Heilige Messe-Status, der seine Auftritt immer wieder umweht, wurde auf der Bühne durch eine Dreifaltigkeit aus riesiger Jesusstatue, absurd großer Discokugel und, ähm, dem RedBull-Logo visualisiert. Mit einer stoischen Lässigkeit verwob er Klassiker sowie eigene Tracks in sein umwerfend homogenes Set, die Zeit schien stillzustehen. Wenn jemand Tracks wie das ultimativ-verstaubte Silver Screen Seduction Screen von Felix da Housecat wieder frisch klingen lassen kann, dann wohl nur ER. Das Publikum dankte es Ihm mit purer Extase. Hallelujah! Im Dungeon, welcher mehr oder weniger direkt unter dem Uhrturm liegt, konnte ich noch die letzten flächigen Klänge von Stuart Stapleton’s Nurse With Wound hören, ein tolles Ambiente für den Ausnahmekünstler.
Unten im Dom ging es dann im hohen BPM-Bereich weiter; Jackmaster (Numbers) sowie Errorsmith (PAN) testeten die Grenzen des Underground-Technos aus und Willow (Workshop) balancierte wunderbar am schmalen Grad zwischen Dub und House. Währenddessen brachten die DJs Taye (Hyperdub) und Deeon (Dance Mania) mit ihrem Juke/Footwork bzw. Chicago House den Tunnel fast zum Einstürzen. Die Nacht ging dann schnell in den Tag über, wo im Parkhouse mit Foehn & Jerome noch lange weiter das eigene Urteilsvermögen hinterfragt wurde. Puh.
Sonntags bin ich dann nach einem überaus wichtigem Kernöl-Eierspeis-Frühstück extrem übernachtig & glücklich wieder abgereist, mit ein wenig Wehmut über den abgesagten Auftritt von John Maus, dessen Screen Memories (Ribbon Music) wohl eines DER Alben 2017 war. Aber – beinahe schon ein Klassiker – wurde einfach mal so der finnische Wunderwuzzi Jimi Tenor als sein Ersatz bereitgestellt (nochmal: Booking-Hexer!) und somit wird auch die diesjährige Ausgabe des Elevate Festivals mit vielen glücklichen Gesichtern zu Ende gehen.
Schön mal wieder daheim gewesen zu sein.