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Sieben Alben im Rückblick: Welches Rammstein-Album triumphiert? Eine Werkschau.

Angesichts der gerade über die Bühne gegangenen Veröffentlichung der mittlerweile 7. Rammstein-Platte ist es Zeit für uns, auf die bisher erschienen Werke zurückzublicken, Höhepunkte und Schlusslichter zu ernennen und zu diskutieren, warum Rammstein das einzig längerfristig relevante Projekt der Neuen Deutschen Härte ist.

1994 gegründet in Berlin, 1995 folgt das erste Album wie ein Donnerschlag. Mit Herzeleid betritt ein neues Projekt die Bühne der deutschen Musik – Rammstein. Das ursprüngliche Konzept: Harte, monoton-stapfende Industrial-Riffs von Killing Joke, Ministry oder Godflesh, kombiniert mit wahnsinnig tanzbaren Keyboard-Klängen (danke, Flake!) die direkt von New Order oder Depeche Mode stammen könnten, mit einem (mehr oder weniger) dezenten Laibach-, Kraftwerk– und Einstürzende Neubauten-Einschlag. Und was für ein erfolgreiche Konzept das war und ist! Till Lindemann, vermutlich einer der ikonischsten Fronter der Rock- und Metalszene, weiß Stimme und Dicht-,,kunst‘‘ zur Trademark auszuformen. Ein wahrer Rammstein-Kult formte sich, eine Band für Helene Fischer und Hellhammer-Fans gleichermaßen, überhaupt Musik für Menschen, die ihren Musikgeschmack nicht allzu ernst nehmen und für die musikalische ,,Seriosität‘‘ ein Fremdwort ist.

Die ersten zwei Alben sind Metal-Klassiker und verdienen einen Platz in den oberen Rängen der besten Platten der 1990er. Doch auch wenn diese Qualität im weiteren Verlauf der langen Karriere – kaum verwunderlich – etwas nachlässt, sind alle Veröffentlichungen hörenswert – selbst die diversen Live-Aufzeichnungen. Die einzigartigen Live-Performances der Band wären ein Thema für sich.

WILLKOMMEN IN DER WIRKLICHKEIT

2009 – Liebe Ist Für Alle Da

Ein bisschen zu viel generischer Industrial Metal, zu wenig Synth und teils fragwürdige Dichtkünste bugsieren Liebe ist für alle da auf den letzten Platz. Keineswegs ein schlechtes Album, erblasst die Platte aber im Hinblick auf die anderen Werke der Band. Rammlied als Öffner und Selbstbeweihräucherung funktioniert ganz gut, zieht im Vergleich zu Nummern wie Sehnsucht und Mein Herz Brennt aber deutlich den Kürzeren. Ich tut dir weh spielt hauptsächlich mit Schock und Graus, das Schmerzloseste an der Nummer ist da noch die durchaus gelungene Instrumentation. Während die zweite Hälfte der Platte eher mager ausfällt – mit der rühmlichen Ausnahme der oft zu Unrecht geschassten NDH-Meets-Glam-Nummer mit doofem Text (,,Lust auf mehr? / Blitzkrieg mit dem Fleischgewehr”). Die Rede ist natürlich von Pussy. Im schlimmsten Fall ist ein Schmunzeln drinnen, im besten Fall entfaltet sich das gesamte Ohrwurm-, Tanz-, und Headbang-Potential. Die beiden National-Nummern Frühling In Paris und Wiener Blut überzeugen hingegen auf ganzer Linie. Bleibt noch die von Jagdhorn-Synths untermalte Liebeshymne Waidmanns Heil (,,drum werd ich mir ein Kahlwild jagen‘‘) sowie das in Musikform gegossene Hoch auf den Zusammenhalt, der mit Brecht-Zitaten unterlegte Haifisch, beide durchwegs hörenswert. Dennoch, ,,wer ficken will muss freundlich sein‘‘, wer eine bessere Platzierung haben möchte, muss mehr Songwriting-Geschick aufweisen – next please!

Höhepunkte:
Waidmanns Heil; Haifisch; Frühling In Paris; Wiener Blut; Donaukinder

Schlusslicht:
Liebe Ist Für Alle Da

TIEFE WASSER SIND NICHT STILL

2005 – Rosenrot

Obwohl Rosenrot als Art B-Side-Compilation zu dem deutlich überlegenen Reise, Reise daherkommt, spricht gerade das auch für den Genius des Rammstein-Songwritings. Das Öffnungsdreierpack Benzin, Mann Gegen Mann und Rosenrot steht den A-Sides und Deep Cuts auf Reise, Reise in Nichts nach. Benzin als deutlich eingedeutschte Variante des Metallica-Brenners Fuel (sozusagen als Vergessensstütze: ,,willst du dich von etwas trennen / dann musst du es verbrennen‘‘) überzeugt. Mann Gegen Mann ist grandios augenzwinkernd-provozierend. Rosenrot schlägt gekonnt den Spagat zwischen Liebeslied und Kultkritik. Einen wirklichen Geheimtipp – sowohl instrumental als auch textlich – und düsteren Höhepunkt stellt Spring dar, vermutlich einer der allerbesten Rammstein-Storyteller. Erst auf der zweiten Hälfte der Platte merkt man die Längen und dass man sich hier eben nicht auf einem Hauptalbum befindet. Gerade einmal die augenzwinkernde National-Liebeshymne Te Quiero Puta! und das schelmisch-stille Feuer Und Wasser stechen hier heraus. ,,Vamos, mi amor‘‘ – auf zur nächsten Platte!

Höhepunkte:
Mann Gegen Mann; Rosenrot; Spring; Te Quiero Puta!; Feuer Und Wasser

Schlusslicht:
Wo Bist Du

ÜBERMENSCHEN ÜBERDRÜSSIG

2019 – [Ohne Titel]

Taufrisch und unverbraucht kommt die neue Platte daher. Nach mehrmaligem Hörgenuss offenbart sich langsam die wahre Stärke der Titellosen: Wirkliche Durchhänger (eventuell abgesehen vom eher faden Was Ich Lieb) gibt es hier nicht. Zwischen Brachialrammnummern (Zeig Dich, Sex, Tattoo, gelegentlichen Verschnaufpausen (Diamant, Hallomann), einem seltenen Rammstein-Storyteller (Puppe, was der Titel Spring und Dalai Lama textlich nachsteht, wird durch die großartige musikalische Präsentation wieder wettgemacht) sticht besonders eines ins Ohr: die wunderbaren Dancy Metal-Nummern! Unverschämt, wie großartig und effektiv Radio, Ausländer und Weit Weg daherkommen. Da kommt Hoffnung für ein zünftiges Synth Pop (oder zumindest EBM)-Album auf. Und hier zeigt sich auch wieder, dass Synth und Flake die Bestandteile sind, die Rammstein als Band nicht als ,,noch so eine NDH-Gruppe‘‘ sondern als DIE NDH-Gruppe dastehen lassen – und das seit mehr als zwanzig Jahren. Kaufen sie also beim Original, und wenn’s sein muss auch noch Muscheln und Pommes Frittes!

Höhepunkte:
Deutschland; Radio; Zeig Dich; Ausländer; Weit Weg

Schlusslicht:
Was Ich Lieb

IST DOCH SO GUT GEWÜRZT

2004 – Reise, Reise

Was für ein wuchtiger Titel Mein Teil ist, ein Kannibalenschwenk, der seinesgleichen sucht. Ein halbwahnsinniger Lindemann krächzt sich dumpf durch einen bis zum Zerreißen gespannten, dumpf brodelnden Vers, hin zu einer engelsgleichen und messerscharfen Erlösung im knallenden Chorus. Sicherlich eine der besten Nummern, die jemals der Feder der Berliner entsprungen ist. Reise, Reise beherbergt auch die gelungenste der National-Nummern, Amerika, eine Sprach- und Imperialismus-Kritik mit (mehr oder weniger) feiner Klinge. ,,Coca Cola / Sometimes War‘‘, das könnte auch so im Duden als Definition der US stehen. Das russische Pendant, Moskau, kommt als augenzwinkerndes Liebeslied auf die ,,schönste Stadt der Welt‘‘ daher, inklusive an Te Quiero Puta! erinnernde Fremdsprach-Samples. Selbst der deutsche Nationaldichter Goethe findet hier Eingang ins Rammstein’sche Oeuvre, eine Neubearbeitung der Ballade ,,Erlkönig‘‘, hier unter dem Namen Dalai Lama. Etwas langatmig, aber keinesfalls langweilig, wird die Entführung durch Naturgeister von Lindemann und Co. ins 21. Jahrhundert und heraus aus dem Wald in die unwirtliche Umgebung der durchschnittlichen Reiseflughöhe gelegt. ,,Weiter, weiter, ins Verderben‘‘, auf zur nächsten Platte!

Höhepunkte:
Reise, Reise; Mein Teil; Dalai Lama; Amerika; Ohne Dich

Schlusslicht:
Stein Um Stein

MEINE KALTEN VENEN

2001 – Mutter

Gemeinhin als das beste Album aus dem Hause Rammstein gehandelt, landet es hier abgeschlagen auf Platz 3. Warum? Nicht, weil es eine schlechte Platte wäre, ganz im Gegenteil: Die Konkurrenz ist einfach zu stark. Was allerdings nur für die Fähigkeit dieser Band spricht, wenn ein Werk mit Titeln wie Mein Herz Brennt und Sonne auf dem dritten Platz landet.
Die Eleganz und Brachialität, sowie die unglaubliche Effektivität als Öffner von Mein Herz Brennt sucht ihresgleichen, sowohl in der Rammstein-Diskographie, als auch im gesamten Rock- und Metal-Bereich. Und dass, obwohl – oder gerade weil – der Titel nicht unbedingt typisch und stellvertretend für die Berliner stehen würde. Ein zunächst komprimiertes, durch Geigenklänge unterstütztes Intro öffnet sich langsam hin zu einem schaurig-epischen Fünfminüter über ,,Dämonen, Geister, schwarze Feen‘‘ – ein seltener, thematischer Ausflug in den pompös-pathetischen Gothic-Bereich, der Rammstein aber auch verdammt gut zu Gesicht steht. Die Synth-Licks und Gitarren-Riffs tragen nur ihren Teil dazu bei, die Geschichte über flammende Herzen zu einem der besten Rammstein-Tracks zu heben. Darauf gleich der nächste Knall, Sonne (warum zum Kuckuck lehnte Klitschko diese Nummer als Intro-Song für seine Box-Auftritte ab?), eine lupenreine Industrial Metal-Breitseite, ohne viele Schnörkel, ohne viel Synth, dafür mit einem nicht aufzuhaltenden Donnerschlag-Rhythmus und wenn dann doch mal Flake dezent aber doch in die Tasten haut, liefert er hier eine Atmosphäre zum Schneiden. ,,Der hellste Stern von allen‘‘ ist zurecht ein Fixstarter auf jeder Setlist der Gruppe. Zwischen Trauer (Mutter) und Geschlechtsverkehr (Feuer Frei, Rein Raus, Zwitter) steht dann noch Links 2, 3, 4 als Mittelfinger an funktionalisieren Wollende (,,Sie wollen mein Herz am rechten Fleck / doch seh ich dann nach unten weg‘‘) sowie Ich Will, der Patron Saint des Rammstein-Parolen-Pop. Den kann man mögen, muss man aber nicht zwingen. Immerhin ist die Nummer noch besser als Du Hast. ,,Ein heißer Schrei‘‘ voll von und nach Sehnsucht – see you there!

Höhepunkte:
Mein Herz Brennt; Sonne; Feuer Frei; Mutter; Spieluhr

Schlusslicht:
Nebel

ISS MICH GANZ AUF

1997 – Sehnsucht

Langsam wird’s eng. Und gleich vorweg: Sehnsucht und Herzeleid sind von der Platzierung her praktisch austauchbar. Hier spielen Rammstein in Bestform und in ihrer eigenen Liga. Rohe Gewalt, gemischt mit augenzwinkerischem Teutonentum und Hypermaskulinität, verpackt in tanzbarer Musik. Auf Herzeleid noch als Rohdiamant, kommt Sehnsucht schon mit mehr Feinschliff daher. Hier klingt die Gruppe, als ob sie jeden Moment anfangen würden, NDH abzuschwören um dafür noch tiefer in die EBM-Trickkiste zu greifen (hach, was hätte sein können..). Es fällt hier schwer, Höhepunkt auszuwählen, da so gut wie jeder Titel ein durchgängig hohes Niveau hält. Es geht um Ausschweifungen, Schmerz, Lust und – natürlich – Sex, durchgängig. Aber immerhin recht elegant verpackt. Bei Titeln wie Bück Dich und Bestrafe Mich schwankt man zwischen Ehrfurcht und schallendem Gelächter (,,Deine Größe macht mich klein  / du darfst mein Bestrafer sein‘‘), doch trotz all der unfreiwilligen Komik sieht man sich eher versucht, haltlos zu tanzen anstatt sich vor Lachen zu schütteln. Synthmagier Flake läuft hier zur absoluten Hochform auf. Es ist kaum möglich, die Beine still zu halten bei all den raffinierten Rhythmen und Melodien. Stellenweise scheint es fast so, als würde die Band zum reinen Beiwerk werden, und sich ein fruchtbringender Dialog einzig zwischen Frontmann und Keyboardist entfalten – bis dann spätestens im Chorus die unbarmherzigen Gitarrenriffs von Kruspe und Landers wieder greifen. Auch wenn hier fast alles auf Angriff und Aktion ausgelegt ist, funktionieren auch ruhigere Nummern (Engel, Klavier) überraschend gut. Gnadenlos unterschätzt und übersehen schlummert auf dieser Platte auf Position zehn Eifersucht, ein absolutes Rammstein-Glanzwerk, welchem mehr Aufmerksamkeit gebühren würde. Dieser Rhythmus kennt keine Gnade. Zu Du Hast, noch mehr Parolen-Pop. Die Instrumentation ist wundervoll, der Text ein wenig zu simpel (trotz ,,kreativem‘‘ Sprachspiel), um mit den Wundern dieser Platte mithalten zu können. ,,Das Gesicht / Interessiert mich nicht‘‘, dafür umso mehr Platz eins dieser Liste.

Höhepunkte:
Sehnsucht; Tier; Bestrafe Mich; Klavier; Eifersucht

Schlusslicht:
Du Hast

LIEBE IST KRIEG

1995 – Herzeleid

Blut, Schweiß und Tränen fließen durch jede Rille dieser Platte. Rammstein in ihrer Urform, kaum zu bändigen, anecken um jeden Preis, ohne dabei vollkommen ins Lächerliche abzudriften. Scharfe Parolen, unterlegt von Stacheldraht-Riffs aus der Fabrikhölle. ,,Sex ist eine Schlacht / Liebe ist Krieg‘‘; ,,Du auf dem Schulhof / Ich zum Töten bereit‘‘, ,,Auf dem Kreuze lieg ich jetzt / Sie schlagen mir die Nägel ein‘‘, ,,Ein Kind stirbt / Die Sonne scheint‘‘, solche Sprüche würden bei keiner anderen Band funktionieren. Lindemann trägt sie vor wie ein fuchsteufelswilder Pastor, staubtrocken, und mit einer Ernsthaftigkeit, die sich schon fast selbst parodiert. Und erst die Synths, Herrgott, die Synths! Asche Zu Asche und Du Riechst So Gut sind nicht vermeidbar, wie ein Schlangendompteur gebietet Flake zu tanzen. Doch abseits der Faust-in-die-Magengrube-Texte beweist Lindemann durchaus Feingefühl, besonders auf der ersten (und besten!) Rammstein-Ballade Seemann, ein ehrliches und karges Liebeslied über die raue See der Sehnsucht. Nur auf einem Album wie Herzeleid können solche Nummern nebeneinander existieren, und so organisch zusammenspielen.
,,Es kommt zu euch als das Verderben‘‘ als Synonym für eine Karriere – Rammstein.

Höhepunkte:
Wollt Ihr Das Bett In Flammen Sehen; Weisses Fleisch; Asche Zu Asche; Seemann; Du Riechst So Gut

Schlusslicht:
Das alte Leid