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“Wir hätten gern zweimal Sex in Wien bitte!” Meine Begleitung entlockte dem jungen Mann an der Kassa ein dezentes Lächeln. Die bis 22.1.2017 laufende Ausstellung “Sex in Wien. Lust Kontrolle. Ungehorsam” hatte schon seit Längerem meine kulturwissenschaftliche Neugier geweckt und musste von mir begutachtet werden. Also stürzten wir uns an einem sonnigen Dezembermorgen ins museale Vergnügen.

Vom “ersten Blickkontakt bis zur Zigarette danach” kann man hier seine Schaulust an Objekten befriedigen, die sich um die schönste Nebensache der Welt drehen. Dazu passt auch die schummrige Atmosphäre in den ebenerdigen Ausstellungsräumlichkeiten, durch die die BesucherInnen im Halbdunkel lustwandeln. Die Ausstellungsstücke, die fast alle einen deutlichen Wienbezug aufweisen, stammen überwiegend aus den letzten zwei Jahrhunderten. Von einem wiederverwendbaren Präservativ aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis hin zu Fernsehmitschnitten und Plastiken zeitgenössischer Künstlerinnen spannt das Kuratorenteam einen weiten Bogen.

Sei es die vielseitige Fächersprache einer Dame in der Oper oder die mehr als eindeutigen Anbahnungsversuche einer Bordsteinschwalbe in Wien: Thematisiert wird der gesellschaftliche Umgang mit Sex, der zu keinem Zeitpunkt unbefangen war. Unter dem Deckmantel rein anatomischen oder künstlerischen Interesses kursierten beispielsweise bereits im 19. Jahrhundert Nacktfotos von Frauen in Wien. Historische Bilddokumente bezeugen das Vorhandensein eines männlich voyeuristischen Blickes in einer patriarchalen Gesellschaft, die der weiblichen Sexualität enge Schranken setzt. Die Tatsache, dass Frauen im Sexleben systematisch benachteiligt wurden, deutet darauf hin, dass das Sexuelle als Kampfzone von Machtpositionen verstanden werden kann. So galt die Jungfräulichkeit der Frau gesellschaftlich als conditio sine qua non für ihre Verehelichung, während junge Männer viele Freiheiten genossen. In guten Familien wurden den Zöglingen Mätressen zugeteilt, damit die jungen Herren gefahrlos erste sexuelle Erfahrungen sammeln konnten. Denn eine realistische Alternative zu dieser Zeit war eben der riskante Straßenstrich. Gleichzeitig musste um die Jahrhundertwende Peter Altenberg keinen Hehl aus seinem Interesse für junge Mädchen machen. In diesem Zusammenhang kommt auch ein in Wien ansässiges Mädchenballett zur Sprache, das hinter den Kulissen vermögenden, alten Herren als Plattform für Menschenhandel diente. Denn hier wurden Minderjährige vorgeführt, im Geheimen versteigert und zu sexuellen Handlungen gezwungen.

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Wenn es überhaupt jemals eine sexuelle Revolution gegeben hat, dann ist diese mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen. Viel eher, so zeigt die Ausstellung auf, handelt es sich hier um einen laufenden Prozess, ein Schlachtfeld, auf welchem immer wieder Terrain gewonnen und verloren wird. Ein Beispiel hierfür ist die ORF-Fernsehausstrahlung der Jugend-Sendung Club 2 im Jahr 1979, zu welcher Nina Hagen eingeladen wurde. Als diese vor laufender Kamera anschaulich erläuterte, wie du dich als junge Frau sexuell selbst stimulierst, lässt der öffentliche Skandal nicht lange auf sich warten. Der Moderator, der Nina Hagen eingeladen hatte, wurde daraufhin vom ORF gekündigt. Etwa zur selben Zeit ist in Wien ein touristischer Stadtplan im Umlauf, der mit einer differenzierten Legende Orte kennzeichnet, an denen bestimmte Typen von Prostituierten (z. B. “frische Ware”) anzutreffen sind. Wir leben in einer bigotten Gesellschaft, die ihre Bruchstellen nicht kaschieren kann.

Einer der Ausstellungshöhepunke war der abschließend gezeigte Film, in welchem am Brunnenmarkt Passanten danach befragt wurden, welchen Gewohnheiten sie nach einer Kuscheleinheit nachgehen. Die Antworten waren ehrlich und den Befragten konntest du leicht anmerken, dass sie an etwas sehr Schönes und Intimes denken mussten. Mit neuem Input verließen wir nach einer guten Stunde das Wien Museum und gönnten uns eine Zigarette danach. Mein Fazit: Wenn man über 18 ist und sich für Sex interessiert, kann ich die Ausstellung wärmstens empfehlen.