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Ein Spendenskandal löste vor drei Jahren eine Welle der Empörung in der deutschen Bevölkerung aus. Nun kämpfen Ärzte wie Verbände für eine neue Vertrauensbildung. Zum diesjährigen Weltnierentag wird das Thema neu aufgerollt.

Alljährlich findet im März der Weltnierentag statt. An diesem Tag sowie während der Nierenwochen, vom 01. bis 31. März, soll darauf aufmerksam gemacht werden, wie wichtig Information, Prävention und frühzeitiges Handeln sind. Dabei wird auch das Thema der Organspende nicht ausgeklammert. Nach den Skandalen möchte man nun einen offenen Dialog schaffen, um das Vertrauen der Patienten und der Bevölkerung wieder zurückzugewinnen. Für Ärzte wie Verbände keine leichte Aufgabe.

Prof. Dr. Thorban ist Oberarzt am renommierten Universitätsklinikum München „Rechts der Isar (RDI)“ und Spezialist für Transplantationschirurgie und Onkologische Chirurgie. Im Interview äußerte er sich über das Motto des diesjährigen Weltnierentags, über die Auswirkungen der Transplantationsskandale und über die Zukunft der Organspende.

© Max Marquardt

Herr Professor Thorban, das Motto des diesjährigen Weltnierentags lautet „Kinder und Nierenkrankheit: Frühzeitiges Handeln zur Prävention“. Eine mit Sicherheit wichtige Botschaft –die jedoch auch ein wenig verwundert: Ein terminales Nierenversagen mit Dialysepflicht tritt bei Kinder und Jugendlichen doch eher selten auf, oder?

Das ist in der Tat richtig. Ich würde sagen, dass wir pro Jahr zwischen 3 und 5 Transplantationen bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren durchführen. In Deutschland sind es ca. 70 Transplantationen pro Jahr. Dennoch ist das Thema sehr wichtig, da Kinder und Jugendlichen nicht über eine große Lobby verfügen. Hier herrscht in vielerlei Hinsicht ein gewisser Nachholbedarf. Bei nierenkranken Kindern müssen mehrfach in ihrem Leben Nierentransplantationen durchgeführt werden. Da stellen sich oft auch die Fragen nach der richtigen Vorgehensweise: Macht man eine postmortale Spende oder gleich eine Lebend-Spende? Denn mit jeder zunehmenden Transplantation ist natürlich auch das Risiko erhöht, dass es zu Abstoßungsreaktionen kommt. Insbesondere während der Pubertät ist das so, da bei viele Jugendlichen in dieser Zeit eine Kooperation eher schwierig ist. Da wird die Einnahme von wichtigen Medikamenten öfter mal vernachlässigt. Das kann dann wiederum zu einem Verlust der Spenderorgane führen. Es ist also wichtig, nicht nur präventiv zu handeln, sondern auch aufzuklären, gleichgültig ob eine Dialysepflicht bei Kindern und Jugendlichen eher selten auftritt.

Welche konkreten Ziele werden beim diesjährigen Weltnierentag genau angesprochen?

Vom Motto des Weltnierentages abgesehen, haben wir natürlich noch eine Menge anderer prägnanter Themen über die diskutiert wird. Zum Beispiel sind die Wartezeiten der Organspendelisten nach wie vor sehr lang. Dies hat in den letzten Jahren leider auch zugenommen. Oftmals ist es sogar so, dass manche PatientInnen wieder von den Listen gestrichen werden müssen, weil Sie zwischenzeitlich verstorben sind. Dagegen muss natürlich etwas getan werden. Dann wäre da noch die Problematik des Spendermangels und die Frage: Wie kann man die Spendebereitschaft in Deutschland verbessern? Dafür muss zuerst das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen werden. Auch muss man sich dabei fragen, ob sich das Umfeld in diesem Bereich geändert hat. Bei allen juristischen Problemen: Den Verantwortlichen ging es damals nicht um das Wohl der Patienten, sondern schlichtweg um die persönliche Eitelkeit und um das Ziel, die Transplantationszahlen um jeden Preis nach oben zu treiben.

Im Jahr 2012 lautete das Motto des Welt-Nieren-Tages „Sag JA zum Leben – sag JA zur Organspende“, um Wachzurütteln, Aufklärung zu betreiben und die Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung anzustoßen. Hatte das damalige Motto nachhaltiges Auswirkungen auf jene angesprochenen Punkte?

Das damalige Motto ist leider in die selbe Phase eingeflossen, als der Organspendeskandal gerade aufgedeckt wurde. Dadurch war der Effekt natürlich nicht so wie von uns gewünscht, das muss man leider so sagen. Natürlich war es schon so, dass in gewissen Bereichen die Bereitschaft zur Organspende und das Benutzen des Organspendeausweises zugenommen hatte. Aber man kann hier von keiner wirklichen Signifikanz sprechen. Letztlich denke ich aber, dass von der mentalen Seite aus gesehen, die Überzeugung in der Bevölkerung einfach nicht mehr gegeben war. Der Vertrauensverlust war einfach zu hoch. Ich bin der Meinung, dass das Thema um die Organspende ein Prozess sein muss, der sich ständig wiederholen, der immer wieder angesprochen werden sollte. Nur so kann man auf allen Ebenen das Bewusstsein hierfür schärfen.

In Göttingen, Regensburg, München und Leipzig sollen Mediziner Krankenakten gefälscht haben, um ausgewählte Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen und dadurch die Wartezeiten zu verkürzen. Damals ging ein Aufschrei der Empörung durch die Bevölkerung, der das Vertrauen der spendebereiten Person massiv geschädigt hat. Manch ein potentieller Spender hat die Idee schnell wieder ad acta gelegt. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende wieder zurück zu gewinnen?

Der erste Schritt wäre es, diejenigen die das zu verantworten haben, zur Rechenschaft zu ziehen. In aller Konsequenz. Das ist nach meiner Einschätzung bisher noch nicht geschehen, aus ganz verschiedenen Gründen. Es hat sich natürlich hinsichtlich einiger anderer Dinge schon viel getan: Da wäre die bessere Dokumentation, die Interdisziplinarität in der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ärztegruppen und die Entscheidungsfindung bei der Transplantation sowie Aufnahme der PatientInnen auf die Wartelisten. Auch die Vergabekriterien sind stringenter geworden. Es gibt nun das neue 6-Augen-Prinzip, alles wird dokumentiert, jeder Schritt muss nachvollziehbar sein, im Rahmen der Organvorgabe und auch mit Hinblick auf die Wartelisten. Aber: Das hat es vorher auch schon gegeben, nur halt nicht so gut dokumentiert wie heute. Aber es gab ein paar schwarze Schafe, die mit ihrem Handeln das gesamte System zu Fall gebracht haben. Jetzt müssen wir mit den Konsequenzen leben und um das verloren gegangene Vertrauen kämpfen. Der Unmut in der Bevölkerung ist nachvollziehbar, aber das Thema darf nicht tabuisiert oder ausgeklammert werden. Man muss jetzt offene Dialoge und neue Herangehensweisen schaffen. Auch was die mediale Berichterstattung betrifft. Ich kann verstehen, dass die Presse lieber über Skandale und über den Organhandel berichtet. Natürlich sollte man das auch nicht unter den Tisch fallen lassen, keine Frage. Aber es sollte auch eine sachliche Darstellung darüber geben, wo genau die Vorteile der Organspende liegen, wem wirklich geholfen werden kann und wie groß wirklich das Leid der betroffenen Patienten ist, deren Namen auf den Wartelisten stehen.

Gibt es denn schon neue Ansätze, die Bereitschaft für eine Organspende – ob Lebend-Spende oder postmortale Spende – zu erhöhen?

An sich ja. Was mich allerdings immer wieder wundert ist, dass gerade die mediale Berichterstattung, wie bereits angesprochen, hinsichtlich dieser Thematik eher zurückhaltend ist und auch das Thema Organspende nicht anständig repräsentieren. In anderen europäischen Ländern ist das etwas anders. Deutschland ist hier leider am Ende der Statistik und somit Schlusslicht. Es gibt hier in der Regel 10 Spender pro 1000000 Einwohner. Wenn man das mit Spanien vergleicht , mit 33 Spendern pro 1000000 Einwohner, dann ist das schon bedenklich. Vielleicht ist das aber ein wenig eine Frage der Mentalität, der sozialen Freigiebigkeit oder wenn man so will, der Opferbereitschaft. Generell scheint das in Spanien oder Kroatien anders zu sein. Man muss auch nicht aggressiv Organspende bewerben, aber ein bisschen mehr Präsenz oder ein bisschen mehr Aufklärung wären gut, um dieses Thema wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Man kann natürlich auch darüber debattieren, ob man etwas an der Gesetzgebung ändert und Deutschland sich diesbezüglich an Österreich annähert, wo es andere Zustimmungsverfahren gibt.

Hat denn der Spender nach der Lebend-Organspende mit gewissen Einschränkungen zu kämpfen?

Nicht unbedingt. Die Lebend-Spende hat in Deutschland ohnehin inzwischen leicht zugenommen. Wir liegen hier inzwischen bei 30%. Im Gegensatz zu den USA, wo die Lebend-Spenden bei 60% liegen, ist das natürlich immer noch ein sehr geringer Satz. Was die Spende betrifft, so muss man muss immer beachten: Die Gesundheit des Spenders hat oberste Priorität. Hierauf wird auch sehr großer Wert gelegt. Dann kann auch der Empfänger die Spende vertrauensvoll entgegen nehmen. Der Empfänger muss sicher sein, dass dem Spender nichts passiert bzw. dass es ihm gut geht. Das Risiko muss möglichst gering gehalten werden.

In einer Ihrer letzten Studien, hinterfragen Sie u.a. auch die Politik von sog High-urgency, also hoch-dringlichen Transplantationen bzw. die Problematik der sehr langen Wartelisten. Was ist ihr genaues Resümee? Wie kann die bisherige Politik geändert werden?

Es muss aufgeklärt werden und es muss fachlich erklärt werden, wo die Vorteile liegen und das die Patienten wissen, dass vertrauensvoll und transparent mit den gespendeten Organen umgegangen wird. Der Prozess muss transparenter gemacht werden und ethisch vertretbarer. Es muss gezeigt werden, dass Organspende in Würde erfolgt. Auch die Dankbarkeit der Patienten sollte hierbei gezeigt werden. Es mag banal klingen, aber schon einfache Dankesbriefe an die SpenderInnen sind Dinge, die man in ihrer Außenwirkung nicht unterschätzen sollte.

Also das heißt es tut sich schon was?

Ja, aber das ist noch zu sehr im Verborgenen. Ich kann natürlich auch verstehen, dass man in diesem Bereich etwas zurückhaltender ist. Werbung ist ja auch in diesem Zusammenhang nicht erlaubt. Aber die Aufklärung könnte man etwas präsenter machen in den Medien, das wäre gut. Regelmäßiger in sachlicher Form. Vielleicht auch mit Sendung im TV. Nicht zu fachlich, aber auch nicht zu esoterisch. Die Spendenbereitschaft in Bayern ist immer noch enorm schlecht. Aber das sind die Bedingungen die nun mal da sind. Es ist da sehr schwierig für die Patienten eine Auswahl zu treffen. Dabei muss man auch die individuelle Erfolgsaussicht beachten. Das ist nicht immer ganz einfach.

Was hat sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Früherkennung und der Behandlung von Nierenerkrankungen im Allgemeinen getan?

Es gibt verschiedene neue Behandlungsansätze in den Bereichen der polyzystischen Nierenerkrankungen (erblich bedingte Erkrankungen der Nieren – Anm. Red.). Man kann inzwischen durch eine medikamentöse Therapie schon präventiv prophylaktisch tätig zu werden. Auch was die Prävention von diabetischen Erkrankungen, also den sog. Hochdruckerkrankungen betrifft gib es sehr gute Präventionsmaßnahmen. Begrüßenswert ist auch, dass sich die Zahl der Dialysepatienten zwar leider nicht verringert, aber seit den letzten 3-5 Jahren relativ stabil eingependelt hat. Kritisch anmerken muss man, dass inzwischen viel mehr Patienten auf die Wartelisten gesetzt werden können, als bisher. Es nicht unbedingt so, dass alle Patienten die von einer Transplantation profitieren könnten auch auf der Warteliste sind. Man muss sich schon fragen warum das so ist und hier gilt es, Klarheit zu schaffen.

Es heißt allerorten, man sollte stärker auf die Gesundheit der Nieren achten. Was gibt es da genau zu beachten?

Sport treiben, auf den Blutdruck achten, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und abwechslungsreiche Ernährung. Das war´s schon. Es reicht völlig aus wenn man 1,5-2 Liter Wasser pro Tag trinkt. Alkohol ist in Maßen auch nicht schädlich für die Nieren. Bier ist sogar aufgrund seiner entwässernden Eigenschaft förderlich. Auch Kaffee ist jetzt nicht schlimm, jedoch sollte man dabei auch darauf achten, immer genügend Wasser zusätzlich zu trinken. Purer Kaffeekonsum ohne dem zusätzlichen Trinken von Wasser ist nicht gut. Wenn es eine familiäre Disposition bezüglich einer Nierenerkrankung gibt, sollte man Maßnahmen zur Prävention einleiten. Ein regelmäßiger Nieren-Check beim Hausarzt ab dem 35. Lebensjahr ist ebenfalls nicht zu verachten.

Zum Schluss: Was wünschen Sie sich persönlich in Hinblick auf den Weltnierentag und die Zukunft der Nephrologie und Transplantation?

Ich würde mich wünschen, dass die Kinder innerhalb der Spenden-Vergabe mehr berücksichtigt werden. Die Spendenbereitschaft muss hier steigen, damit den Kindern und Jugendlichen dort auch besser geholfen werden kann. Das ist mir ganz wichtig. Zudem wüsche ich mir, dass es zu einer besseren Aufklärung und einer neuen Vertrauensbildung im Rahmen der Transplantationsskandale kommt: Es muss einiges aufgearbeitet werden, die Verantwortlichen für diesen Skandal müssen endlich anständig zur Rechenschaft gezogen werden, auch muss es entsprechende Veränderungen im medizinischen Umfeld geben. Die ethische Grundlage der Organspende muss in Zukunft viel besser gestärkt werden ohne Druck auf die Bevölkerung auszuüben. Dennoch: Jeder Mensch sollte sich in Zukunft vor Augen halten, wie wichtig es ist, mit einer Organspende zu helfen.

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© Pixabay

Wiederspruchslösung vs. Erweiterte Zustimmung: Die Unterschiede des Transplantationsgesetz zwischen Österreich und Deutschland

Die Organspende- und Transplantationsgesetze (TPG) in Österreich, unterscheiden sich in vielen Fällen von denen in Deutschland. So sind z.B. die Organentnahmen bei lebenden Spendern durch das TPG stark eingeschränkt. Sie sind nur dann zulässig, wenn zum Zeitpunkt der Organentnahme kein geeignetes Organ eines toten Spenders zur Verfügung steht. Damit möchte der deutsche Gesetzgeber Fremde vor jedem Druck zur Organspende schützen und ein Verwaltungshindernis gegen den Organhandel herstellen. In Österreich ist die Organentnahme bei lebenden Spendern nicht gesondert geregelt. Es gelten die allgemeinen Rechtsgrundsätze.

Der wichtigste Unterschied zu Deutschland: PatientInnen, die keine schriftliche Ablehnung einer Organspende bei sich tragen, werden in Österreich automatisch als “OrganspenderInnen” angesehen wenn der “Hirntod” festgestellt wird. Die Angehörigen müssen nicht informiert oder gefragt werden. Auch Ausländer können in diesen Ländern explantiert werden.

In Deutschland gibt es im Gegensatz das Gesetz der erweiterten Zustimmung. Dieses besagt, dass nur beim Vorliegen eines “Organspendeausweises” Körperteile oder Organe entnommen werden können. Aber auch Angehörige können einer Entnahme von Körperteilen zustimmen, wenn kein “Spendeausweis” vorliegt. Haben “SpenderInnen” oder die Angehörigen keine Einschränkungen vorgenommen, kann eine Multiorganentnahme erfolgen.

Über Prof. Dr. Thorban

Professor Dr. Thorban, geboren 1958 in Giessen /Lahn, studierte Medizin an der Rijksuniversität Gent/ Belgien (1977 – 1978) und später an der Ludwig-Maximilians-Universität München (1978 – 1985). Auf seine Promotion im Jahr 1987 folgte 2001 die Habilitation über das Thema „Epitheliale Zellen im Knochenmark von Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom des Oesophagus.“ Seit dem Jahr 2000 ist er Oberarzt an der Chirurgische Klinik und Poliklinik des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München. Seine Spezialgebiete sind die der Transplantationschirurgie und der Onkologischen Chirurgie.