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Die Veranstaltungen des Kollektivs “Mind Entertainment” sind ein Jour Fix in der heimischen Techno-Szene. Von hart bis zart kommen echte Raver hier auf ihre Kosten. Wir haben uns mit den Gründungseltern Richard Steinschlag und seiner kongenialen Partnerin Stella zu einem Gespräch und einem anschließenden Foto-Shooting getroffen. Wer den Techno-Veteran Steinschlag kennt, weiß, dass dieser Mann einiges zu erzählen hat.

First things first: Wann hast du dich mit dem Techno-Virus infiziert und wie hast du anschließend zur Szene beziehungsweise zur Community gefunden?

1988 erfuhr ich in einer kleinen Info-Box in der Bravo Zeitschrift von einer neuen, verrückten Musikrichtung namens Acid House. Tanzbar, sonderbar, elektronisch, wabernd und fließend, inklusive einer völlig neuen Partyszene ganz abseits der damals vorherrschenden Jugendkulturen und der Woodstock- und Ac/Dc-Schwärmereien der älteren Generation. Ich war ganze 14 Jahre alt, wohnte am Land und fuhr in meinen ersten Plattenladen noch mit meinem Vater, der mich finanziell unterstützte, indem er mir meine ersten Platten kaufte. Ich sammelte sehr viel Acid House und den aufkommenden Techno. Auf Kassetten, Platten und dann auch viel auf CDs. Ab und zu war ich der DJ für Geburtstagsfeiern, doch so gut kam ich mit dem schrägen Zeugs nicht an, und nur EAV, Rock und Hitparade spielen interessierte mich gar nicht. Ich wollte aber die Musik beim Ausgehen hören und arbeitete mich quasi von den Landdiscos zu den Stadtdiscos in Richtung P1, Atrium und dem Nachtwerk weiter und hörte dort Synthiepop, Hitparade und den aufkommenden Eurodance. Techno und Acid House suchte ich meistens vergebens. Erst 1994 kam ich dann richtig in die Szene rein. Mit Gazometer, Raveland, der Free parade am Ring und den ersten Gabber-Partys lernte ich so viele neue Leute kennen und verlor zugleich alle Freunde aus den Discos Zug um Zug, die mit der miteinhergehenden hedonistischen Lebenseinstellung nicht mehr mithalten wollten und lieber weiterhin bei Bier, Wein, Schnaps und Zigaretten am Feiern blieben.

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Seit wann hast du selber mitgemischt?

Mit der Zeit fehlte mir das Ausleben der eigenen Kreativität, weshalb ich am Amiga und dann am PC langsam begann. Und 1999 hatte ich meinen ersten Liveact bei einem Rave in St. Pölten, konzipiert für 500 Personen, zur Hauptzeit. Damals noch mit dem riesen Desktop PC und mit einem alten, schweren Röhrenmonitor auf der Bühne. Ich hab auf einer mörderguten Anlage sechs Tracks von Techno bis Hardcore präsentiert, damals  als „NC Joe“. Das war der eigentlich Start für mich als Aktiver in der Szene.

Was ist Mind Entertainment eigentlich?

Mind Entertainment ist der erneute Versuch, die Techno- und Underground-Szene mit innovativen, eigenen Werken, einem Kollektiv an Künstlern und einem Team weiter zu beleben und zu befruchten. Dabei wollen wir eigenständig immer professionellere Events erfolgreich umsetzen. Was Mind Entertainment verbreiten möchte, ist gute Laune, ein Gefühl, wieder bei der Familie zu sein und den besten Sound der Stadt zu erleben. Wir lieben es auch nebelig und mit flashigen Lichteffekten und Visuals garniert. Unsere Chill- & Musicouch trägt dazu bei, dass unsere Events eine eigene, gemütliche Atmosphäre haben und sich das Publikum wohl und willkommen fühlt. Es gibt auch kleine, innovative Snacks und Süßigkeiten. Unsere eigens entworfenen Energie-Bällchen sind vegan und wirken ganz legal und dennoch gut motivierend.

Wie lange gibt es euch schon und wie kam es zur Gründung des Kollektivs?

Wir starteten 2012 mit Events in Tschechien, im Parkclub Breclav. Was sich über einen Künstlerkollegen, der in Grenznähe wohnt und ein paar tschechische DJs damals kannte, schnell ergab. Dort montierten wir unser Logo in 6 x 2 m großen Styroporbuchstaben und bespielten diese mit gemappten Live-Visuals und präsentierten die ersten eigenen Werke, die ab 2009 so langsam entstanden sind. Mein Liveact von 2012 ist immer noch auf Spotify zum nachhören vorhanden, und kann auch käuflich erworben werden.

Gemeinsam mit meiner Partnerin Stella brauchten wir nur drei Jahre, um nebenbei und ohne jeglichen Antrieb oder Motivation von außen ein erstes Album, einen völlig neuen Liveact, eine Veranstaltungsserie und ein Kollektiv aufzubauen. Der Prozess begann 2009 im Norden Hollands, wo ich dank unserer Fernbeziehung öfter bei Stella war und dort einen Raum kurzerhand zu meinem kleinen, aber ausreichenden Tonstudio umfunktionierte. Mit der Brise der Nordsee und so manchem kreativen Abstecher in den dortigen Kaffeeladen gleich ums Eck kam ein völlig neuer, irgendwie cooler und dennoch verspulter Sound heraus.

Wieviele aktive Künstler sind bei euch dabei?

Viele der Künstler, die schon bei uns mitgewirkt haben, sind Gastkünstler und auch anderswo aktiv. Einige, die im Kernteam mit dabei waren, starteten eigene Projekte oder wanderten zu anderen Kollektiven. Daher ist die Anzahl der Künstler insgesamt recht hoch, die der aktiven Künstler wechselt aber ständig. Auf unserer Webseite finden sich auf der Startseite immer die aktiven Künstler.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich Stella (Künstlername Estelle). Wir sind das Kernteam. Mit ihrer Bereitschaft, beim Produzieren mitzuwirken und ihre Stimme beizusteuern und dann auch beim Veranstalten mit ihrer Chill- & Musicouch als Gastgeberin und bei der Promotion mitzuwirken, ist sie eine unschätzbare Hilfe. Sie trug dazu bei, nun über sechs Jahre hindurch eine Vision von Location zu Location und von Release zu Release weiter zu tragen und das Konzept und den Output zu verfeinern.

Welcher Sound erwartet uns, wenn „Mind Entertainment“ auf dem Flyer steht?

Durchgesetzt hat sich alles was tanzbar ist von Deep House und World House am unteren Ende des Spektrums beginnend über Minimal und Techhouse zum Techno wandernd und bei maximaler Schubkraft und unserem höchsten Härtegrad beim Dark- und Hardtechno so um die 132-135 BPM zu landen. Wir deklarieren immer in den Events was musikalisch ungefähr zu erwarten ist und je nach Location und Publikumserwartung und natürlich auch der Uhrzeit ändert sich das immer liebevoll zusammengestellte Programm. Die meisten von uns, so auch ich, waren früher bereits aktiv in der Szene und damals waren wir alle deutlich schneller. Aber wie das so ist mit dem Alter: Weniger BPM kommen gemütlich und treiben trotzdem ganz gut an. Mal schauen ob wir bei Pensionsantritt auch beim Slowstomp und den Dub Tech Varianten landen, aber so eine Entwicklung ist aktuell nicht abschätzbar. Songs von 96 – 114 BPM gäbe es aber bereits in unseren Schubladen. Ab und an hat auch eine Sitzdisco etwas Schönes.

Wo kann man eure Musik anhören?

Über soziale Musiker-Netzwerke wie Soundcloud, Mixcloud und Play.fm. Die besten Stücke werden fertig produziert und finden sich in allen Shops und bei den meisten Streaming-Anbieter.

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Wie würdest du allgemein die elektronische Tanzkultur-Szene in Wien oder Österreich beurteilen?

Wir haben eine sehr vielfältige Szene in Wien, die sehr zerbröselt ist in viele Nischen und Sub-Genres. Und wir schlagen uns mit Problemen herum, die in allen europäischen Städten in verschiedenen Ausprägungen vorhanden sind: Ein zu kleiner Kuchen für zu viele, die gerne davon halbwegs gut leben möchten, Herausforderungen mit den Behörden, die manchmal an Willkür grenzen, aber die oft völlig legitim sind und dennoch eine ordentliche Szene-Arbeit mangels eines größeren Budgets verhindern. Dann gibt es ein paar wenige Platzhirsche, die in ihrer eigenen Fan- und Markenblase leben und sich wenig um den Mitbewerb oder gar den Erhalt einer guten Szene (Stichwort “zweite Familie”) kümmern. Und wie in den hochgelobten 90ern gibt es nur einen kleinen Teil von Partygänger,  die versuchen, sich alles anzuschauen, und einen großen Teil, die in ihrer Nische klebt und nur dorthin geht, wo sie auf Nummer sicher gehen und ihre Partybekanntschaften, ihren Sound und ihre übliche Komfortzone vorfinden.

Gibt es zwischen den Veranstaltern manchmal Streitigkeiten? Und wenn ja, worüber?

Ab und zu ja. Am ehesten über Terminkollisionen oder internationale Acts, die zu knapp beieinander in die selbe Stadt gebucht werden. Und über Geld, wobei da die bösen Location-Betreiber, die Agenturen und die noch böseren Behörden es schaffen, das weniger untereinander gestritten wird, sondern sich der Frust eher dorthin gemeinsam verlagert. Die Zeiten haben sich da stark geändert, alle versuchen die Kosten auf die Veranstalter abzuwälzen, denn die haben ja das große Eintrittsgeld. Zahlen davon aber die Location, die Acts, die Promo und alle sonstigen Unkosten. Auch Mind Entertainment ist froh, wenn am Ende Null rauskommt, aber jeder Helfer und Künstler einen fairen Teil vom Ganzen erhalten hat. Wir sind alle sehr froh, dass wir nicht davon leben müssten, denn dann wäre der Spaß und damit die Kreativität weg und wir würden wohl mehr mit den Mitbewerber und allen Protagonisten streiten müssen.

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Du hast kürzlich dein neues Album released: Steinschlager – Electronic Technoid Zeitgeist dreams 2018. Wie lange hast du an dieser Scheibe gearbeitet?

Das Album begann 2014 in der Kulturschmelze (die Zinkerei in der Pragerstrasse). Ich spielte dort meine aktuellen Demo Tracks, mit erfolgreichem Feedback der Tänzer und Zuhörer, und kam mit Catrin ins Gespräch wegen meinem Künstlernamen „Steinschlag“. Den sie malen wollte. Das Bild war 2014 auch fertig und schmückte oft bei unseren Events in der Kulturschmelze die Wände. Und als ich es das 1. Mal aufhängte machte ich Fotos und wusste schon dass ich somit das Cover meines nächsten Albums fertig hatte. Doch die Zeit und Muse, es auch fertigzustellen, blieb mir verwehrt und so sammelten sich über 30 Tracks zusammen. Die zum Teil auf Soundcloud rauskamen, dann wieder verschwanden und deren Werdegang man in meinen DJ Mixes nachverfolgen kann. Für den Winter 2017 nahm ich mir dann die Selektion und Finalisierung vor und brauchte schließlich bis zum Sommer 2018, um die 23 Tracks und damit auch zweiundhalb Stunden Musik in Eigenregie fertig zu produzieren.

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Zukunftspläne und Projekte?

Die weiteren Pläne wären wieder mal eine Off-Location zu einem Club zu verwandeln. Wir wären mit Know-How und Arbeitsleistung vom Kunst & Kulturverein Mind Entertainment wieder zu einer passenden Partnerschaft oder einer eigenständigen Projektleitung bereit. Nur bisher fanden wir keine geeignete Location. Eventuell hilft uns dieser Artikel diesbezüglich weiter. Ich produziere weiterhin neue Tracks und es wird eine oder zwei Single-Auskopplungen vom Album „Steinschlager“ geben.

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Hast du allgemeine Empfehlungen an die Community? Was würdest du dir persönlich für die Entwicklung des Technos in Wien und Österreich wünschen?

Erfahrung und Weisheit, die bereits erworben wurde, wäre sehr nützlich, finanziell sinnvoll und könnte alles vereinfachen und die Szene viel weiterbringen. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Fehler lieber von jedem selbst gemacht werden. Scheinbar lernt man nur so am besten dazu. Fehler ausbaden können auch andere, vor allem wenn enttäuschte Gäste lieber daheim feiern und den Veranstaltern und DJs weniger vertrauen. Also wozu auf ältere und länger in der Szene befindliche Leute hören, warum auf Bestehendes aufbauen, wenn man doch alles selbst machen kann? Um nicht von irgendwem abhängig zu sein. Du merkst wo das hinführt? Viele leben ihr Ego aus, wissen alles schon beim Einstieg oder nach ein bis zwei Jahren in der Szene besser und machen damit viel kaputt und nichts verbessert sich. Vor allem, wenn die Genießer der Szene, die Gäste und Tänzer, auf die es eigentlich ankommt, das alles mitbekommen. Einen wirklich guten Ruf hatte diese Szene nie, was erstens an der medialen Aufbereitung der hedonistischen Fehlschläge lag und zweitens an denen, die mit schwerer Bass-Allergie gezeichnet sind.

Wie würdest du die politische Entwicklung in Österreich mit einem Satz beschreiben?

Die Politik hierzulande ist nun national, rückwärtsgewandt und unsozial orientiert. Techno war und ist genau das Gegenteil davon und das demonstrieren wir auch lautstark.

Letzte Frage: Was ist dein Lieblingsfilm?

Fear and loathing in Las Vegas

Infos und weiterführende Links

Mind Entertainment

FB Richard Steinschlag

Soundcloud Richard Steinschlag

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