Podcast

Das Team von Delay Magazine präsentiert Woche für Woche, was sich in der Welt von Kunst und Kultur getan hat, welche Platten und Singles man guten Gewissens in die Hände nehmen kann, bei welchen Filmen und Vorstellungen sich ein Besuch lohnt und was man tunlichst meiden sollte.

07.01. –  13.01.

Wir blicken auf eine insgesamt wundervolle Musikwoche zurück. Von dem Dungeon Synth aus Chaucerian Myths Zauberturm umschwärmt, bereisen wir fantastische Welten, wappnen uns mit der Possum Feet Winter Compilation gegen die bittere Kälte, düsen zu Candlemass und Pissgrave den Metal-Highway entlang und beatboxen mit Yasmo, Mortis Chandu und Swankster. ,,Die Hände bitte! Ja, das sieht nach Hip Hop aus!”. Wem das nicht reicht, wer sich nach beschaulichen (und wärmeren) Stunden sehnt, hört stattdessen Forests und Lana beim Schmachten zu oder schüttelt in den lokalen Indie-Venues die kühlen Knochen zu Nachtmahr aus. Auch Unbekannt und Underground ist uns wieder eine Erwähnung wert, so pogen wir zu den Klägen von Verrat und SOLD und tanzen mit Shalligs Gustav um den Ziegenstall.

Alben & EPs

Chaucerian Myth

Chaucerian Myth – Chaucerian Legends: The Epic of Beileag, Part I
(Dungeon Synth, Neo-Medieval Folk / get it on Bandcamp! 2019)
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Mit der Spieldauer eines kompakten Fims – über 90 Minuten – kommt das neue Werk des Bandcamp-Veteranens Chaucerian Myth daher. Auch wenn es prinzipiell wünschenswert ist, ein Album kurz und schmerzlos zu halten (Wenn man nicht The Magnetic Fields oder The Clash heißt, braucht man auf keinen Fall über 12 Tracks, um ein Best-Of der aktuellen Studioarbeit zu präsentieren, ansonsten sind garantiert Filler auf der Platte mit drauf!), lässt sich die langwierige Angelegenheit, die ,,Chaucerian Legends Part I” darstellt, verschmerzen. Eine gewisse Geisteshaltung, sowie eine Vorliebe für klassische (langatmige, nicht Edvard Grieg-Fastfood) Musik ist hier sicher von Vorteil. Vielleicht sollte man auch zu einem Fantasy-Roman oder Artwork-Buch der Wahl greifen, um der Platte eine würdige visuelle Unterstützung zu bieten. Oder man benutzt die Klänge als RPG-Hintergrundmusik für eine große Queste, auch das bietet sich an. Denn, was hier geboten wird, ist epochal. Bekannt geworden ist der US-Amerikaner mit Dungeon Synth, bei den Legends klingt es zunächst hauptsächlich nach Neo-Medieval Folk. Erst auf späteren Nummern wie ,,The Forest” oder ,,Wandering the Castle” werden die bewährten Dungeon Synth-Klänge aus dem Verlies geholt. Die auf dem Synthesizer erzeugten Klänge suggerieren eine Vielzahl von Instrumenten, es ertönen Clavichord (,,Legend of the Anchoress”), Violine (,,Dancing Lights”), sogar Akkordeon (,,House of Friendly Spores”), und sorgen auf die lange Dauer für die bitter notwendige Abwechslung. Nettes Detail ist, dass selbst auf der rein instrumentalen Platte eine Geschichte erzählt wird, nicht nur durch die auf den Titeln erschaffene Atmosphäre: Wie man aus den Titelnamen ablesen kann, folgt man einem Bard auf seiner Queste durch fantastische Landschaften, eisige Wälder, finstere Türme, nur um schlussendlich ,,Glory and Treasures of a Lost Civilization” als krönenden Abschluss zu erreichen. Protagonisten und Handlung dieser epischen Saga erscheinen beim Hören unweigerlich in der eigenen Fantasie, die von chaucerianischen Tönen begleitet auf Wanderschaft geht.
Anspiel-Tipp: Goldenhawk, House of Friendly Spores, Glory and Treasures of a Lost Civilization

Forests

Forests – Spending Eternity in a Japanese Convenience Store
(Midwest Emo / get it on Bandcamp! 2019)
ALBUM DER WOCHE
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Huch, so eine Platte in der – zumindest in Mitteleuropa – kalten Jahreszeit zu veröffentlichen, erzeugt einen gewissen Kulturschock. Die Emobrigade aus Singapur versetzen mit Herzschmerz-Texten und herzzerreißenden Math Rock-Riffs die Zeit um einige Jahre zurück, als die Welt noch in Ordnung, kein Organgutan im Weißen Haus und das eigene Alter unter 20 war. Ein bisschen Snowing, ein bisschen American Football. Ein bisschen Math, ein bisschen Mehrstimmigkeit. Und vor allem, knappe 34 Minuten geballte Midwest-Ästhetik. Soliden Gesang gibt’s sowohl clean als auch gescreamt. Zwar ist man nicht über sämtliche genretypische Probleme und Klischees erhaben, abwechslungsreiche Songs – mal bisschen Midwest, mal bisschen Pop Punk, aber fast immer geschickter Math Rock – sorgen für genug Wiederspiel-Potential. Play it again, Adam! Man sieht förmlich die Hände vom Gitarristen vor sich, wie er die komplexen Rhythmen (besonders gelungen in dieser Hinsicht: ,,I Miss Your Dog (More Than I Miss You)” sowie ,,You Must Be Fun At Parties”, beides überraschend nachempfindbare Songtitel) aus der Klampfe würgt. Textlich wird gejammert (,,you’re the best i ever had in my stupid life”), geschlafen (,,so why do i always feel / like a bed you don’t remember falling asleep in”), vermisst (,,I’ll miss our late night trips to the convenience store”) und vergessen (,,I’m waking up everyday hoping to forget you”), das Übliche also. Ein schönes Detail sind sämtliche musikalische (,,won’t you meet me halfway”; ,,excuse me are you björk /cause you’re out of this world”; ,,I’ll never be the joy to your division”) und popkulturelle (,,hey you’re tearing me apart”; ,,but blue is still the coldest colour”) Anspielungen und Shoutouts, die stets das Potential besitzen, ein Lächeln hervorzurufen. Immerhin klingen nicht alle neun Nummer nach American Football-Worship, keine Selbstverständlichkeit. Mit ,,Spending Eternity” möchte man vielleicht keine Ewigkeit, aber zumindest einige Sommer nach Einbruch der Dämmerung verbringen. Sommer, bitte komm schnell! Und bring mehr, dem Midwest Emo ähnliche, Qualität mit!
Anspiel-Tipp: You Must Be Fun At Parties, I Miss Your Dog (More Than I Miss You), How’s Leaving Coming Along?

Nachtmahr

Nachtmahr – Antithese
(Aggrotech / Trisol 2019)
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Wer Nachtmahr kennt, weiß, was er bekommt. Die leicht bekleideten Mädchen in Uniform, die auf dem Cover zu sehen sind, geben schon die Marschrichtung an: Es wird zu Industrial-Beats gestapft, und es fliegen einem jede Menge Aggrotech-Melodien um die Ohren, ab und zu gibt’s dann noch Dialog-Samples. Viel hat sich musikalisch bei Thomas Rainer nicht getan, was aber nicht zwangsläufig schlecht ist. Hörbaren Aggrotech findet man so oder so viel zu selten, noch seltener Aggrotech mit einem ähnlichen Mass-Appeal wie ihn das Wiener Projekt Nachtmahr mit sich bringt. ,,,Tanzdiktator” und ,,Mädchen in Uniform” (inklusive Porno Dialog-Sample) sind Titel, die auch szenefremden Personen bekannt sein dürften. Ein ähnlicher Überhit wird auf ,,Antithese” zwar nicht geboten, dafür aber durchgängig solider Aggrotech, unterlegt mit verzerrten Vocals, die über die üblichen Verdächtigen erzählen: Autoritarismus, Militärästhetik und Martialismus. Und es lässt sich kaum vermeiden, zu Breitseiten wie ,,Heile mich” oder ,,Dein Herr” mitzuwippen.
Anspiel-Tipp: Heile mich, Dein Herr, Treibjagd

Possum Feet

Possum Feet Records – Possum Feet Winter Comp Vol. 1: It’s Summer in Australia But Literally No One Cares
(Indie / get it on Bandcamp! 2019)
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In Österreich ist es dafür furchtbar kalt, und das interessiert auch keinen (außer hiesige Gesetzeshüter – darf man sich denn schon ,,vermummen”?). Was allerdings durchaus von Interesse bei diesen eisigen Winden sein könnte: Die Possum Feet-Compilation, die dezidiert die kalte Jahreszeit als Thematik hat. Das US-amerikanische DIY-Lable, welches im Mai 2018 seine Grundsteine innerhalb einer populären Facebook-Gruppe (Patrician Music Chartposting, über 50.000 Mitglieder) legte, gibt auf dieser Platte, wie bereits auf den zuvor veröffentlichten Compilationen, Indie-Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform. Alles, was gut und patrizisch (und irgendwie winterlich) ist, geht. Dementsprechend ist die Genre-Vielfalt immens: Von Indie Rock über Slowcore, IDM und Ambient bis hin zu Piano-Werken zeigen die Opossums, wie viel Talent jenseits von Mainstream und Major existiert. Das Lable versteht sich selber als Non-Profit-Organisation, die als erklärtes Ziel hat, Netzwerke für Künstlerinnen und Künstler zu schaffen. Und das scheint zu gelingen, es beeindruckt, wie konstant hochwertig die Qualität im Laufe des 80 Minuten langen Werks bleibt. Durch die wild durchgewürfelten Genres kommt auch an keiner Stelle Langeweile auf: Mal lauscht man dem Geräusch von kratzenden Schneeschaufeln auf einer Electro-Melodie (11:59) und rauschenden Anrufbeantworternachrichten (Ramona), mal ausgezeichnetem, Agalloch-inspiriertem Post-Rock (Goodnight, Hunter). Stellenweise träumt man, von ätherischen Stimmen umweht, auf weichen Wechten gebettet vor sich hin (Sleep, Counting Cars), ein paar Titel später wippt man, wie ein von Schnee umwehter Tannenbaum zu IDM-Klängen mit (Hó) oder wünscht sich sehnlichst das Emo-Revival aus 2011 zurück (Yeah I’m Emo, Who Fuckin’ Cares – was für ein fantastisches Solo in der Mittes des Tracks!). An dieser Stelle auch ein Shoutout an das wundervolle Lable-Maskottchen, eine etwas krude gezeichnete Beutelratte. Man darf auf weitere Veröffentlichungen aus dem Hause Possum Feet gespannt bleiben, ein enormes Potential ist jedenfalls vorhanden, die Compilation macht definitiv Lust auf mehr. Wer wie ein wahrer Hipster vor seinen Indie-Genossinen und Genossen mit Underground-Wissen über obskure Künstlerinnen und Künstlern punkten möchte, greift zu dieser Platte!
Anspiel-Tipp: Sleep (Sasha Slug), Goodnight, Hunter (Dead Leaders), Yeah I’m Emo, Who Fuckin’ Cares (Strelitzia), Counting Cars (Manic Pixie Dream)

Shallig

Shallig – #GustavUlrichSCHule
(Folk Rock, Comedy Rock / get it on Soundcloud! 2018)
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Schwachsinn hat einen Namen! Er lautet Shallig, aber das im besten Sinne. Deutlich an musikalische Comedy-Traditionen von Frank Zander, EAV oder auch Tenacious D knüpfen die lokalen Folk Rock-Schmähtandler in Badehose an. Und nichts ist ihnen heilig, so überhaupt nichts. Egal ob Slasher (,,Freddy” – jener orangene Herr von der Elmstreet, ein Titel, der es leider nicht auf das Album geschafft hat, dafür aber live zu bestaunen ist. Album Nummer zwei muss her, ist der Titel nicht drauf, wird das Review verweigert. An dieser Stelle jedoch: Ganz klare Live-Empfehlung!), Religionskritik (,,Tatsachenberichte”), organisierter Massenmord (,,Hexenjagd”), psychische Leiden (,,Normal”) oder Nihilismus (,,Blödsinn”), nichts bleibt unausgesprochen. Witz beim Texten wird im Hause Shallig groß geschrieben. Ein ,,subtiler” Schmäh schafft’s sogar bis aufs Cover, welches passend zum Inhalt mit dem Bock mit besonderen Bedürfnissen – vulgo Gustav – verziert ist. Es geht eben zu wie in jedem authentischen Wiener Beisl, es wird gekeift, gesoffen und geflucht, man ist irgendwie angeekelt, kann aber nicht wegschauen. Und schon gar nicht die Stereoanlage abdrehen, denn jeder dieser Titel hat das Potential, sich unentfernbar in den Gehörgang einzufräsen, ob man das möchte oder nicht. Die zweistimmigen (und auch äußerst fähigen) Gesangs-Einlagen sowie die Mitkreisch-Refrains tun ihr Übriges.
Anspiel-Tipp: Normal, Hexenjagd, Tatsachenbericht

 

SOLD – SOLD Demos
(Punk Rock, Grunge / get it on YouTube! 2018)
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www.youtube.com/watch?v=vHL0XrPtUq8
(Noch) ein echter Geheimtipp der österreichischen Punk-Szene: Die vier Damen der Krawall-Kapelle SOLD. Die Wienerinnen, die es auch bereits in die liebsten Delay-Songs des Jahres geschafft haben, verdienen ein vollwertiges Review. Zwar sind nur drei Songs auf YouTube verfügbar (bei denen wir uns die Freiheit genommen haben und diese als Demo zusammengefasst betrachten – Cover gibt’s keines, dafür aber dieses von uns eigenhändig geschossene Foto der Frontfrau in Action), diese haben genug Qualitäten, um vollständig zu begeistern. ,,whole day” kommt als düstere Liebeserklärung an die Unabhängigkeit daher, das wundervolle ,,bagger bösse” mit Wumms und berechtigter Wut der Stimmlosen, ,,sold out” steht schließlich als ruhiger Abschluss und grungige Hymne an das Ende. Eine wundervolle Vocalistin, äußerst eingängige Riffs, tightes und facettenreiches Songwriting, ein Style bei denen selbst die Pistols neidisch werden. Kurz und schmerzlos: Anhören, Fan werden, auf ein Album hoffen.
Anspiel-Tipp: whole day, sold out, bagger böse so ca. 10 Mal

Swankster

Swankster – Swankster
(Hip Hop / Rufzeichen Records 2018)
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Mit jazzigen Hip Hop-Instrumentals, New Yorker Flows, einem souligen Groove und einem Feature von Yasmo herself kommt das Hip Hop-Kollektiv Swankster daher. Die multinationalen Künstler verstehen ihr Handwerk, die Beats, die einem hier um die Ohren fliegen, laden zum Mitnicken und Hände werfen ein. Der gebürtige US-Amerikaner Al Richman – der Herr, der am Artwork im Adidas-Outfit posiert – versorgt die wundervollen Klanglandschaften mit Conscious Hip Hop-Texten und klangvollen Vocals. Besondere Beachtung sei den Keyboard-Licks und Melodien geschenkt, die einen ganz besonderen Vibe erzeugen und die ohnehin schon starken Instrumentals noch zusätzlich aufwerten – man merkt, dass hier Wert darauf gelegt wird, sämtliche Titel auch live mit Band präsentieren zu können. Ein Album, das zum Abhängen und Mitdenken anregt.
Anspiel-Tipp: Juice, Tell Me What You See (feat. Yasmo)

Trent

Trent Reznor and Atticus Ross – Bird Box Original Score
(Post-Minimalism, Dark Ambient / The Null Corporation 2019)
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Im Vergleich zu dem recht langweiligen Film, für den dieser Soundtrack geschrieben wurde, ist die musikalische Begleitung zu ,,Bird Box” etwas spannender. Konzipiert wurde das Werk von den Musikern von Nine Inch Nails, Trent Reznor und Atticus Ross, welche kein Neulinge im Hinblick auf das Schaffen von Filmmusik sind. So ist ihr Film Score zu ,,The Social Network” – ebenfalls in Kooperation – auch tatsächlich mit einem Oscar und Golden Globe prämiert. So prestigeträchtig darf man sich das neue Gemeinschaftsprojekt der beiden aber nicht vorstellen. Die Einflüsse aus dem Industrial sind kaum zu überhören, was im Hinblick auf die Discografie der Nine Inch Nails auch kaum verwundert. Besonders ,,What Isn’t Anymore” und ,,Careful What You Wish For” zeigen hier deutlichen Einschlag. Das Album ist schlichtweg zweckdienlich, es trägt ohne Zweifel zum nötigen Stimmungsaufbau sowie zum Erwecken von Nervösität und Unwohlsein bei, was in einem Film, wie ,,Bird Box” einer sein will, integral ist.
Außerhalb des filmischen Kontexts ist die Platte aber im Vergleich zu anderen Werken des Genres alles andere als herausstechend, und wird zusätzlich durch die Verwendung von Klischees und teils ermüdenden Wiederholungen abgeschwächt.

Verrat

Verrat – Verrat EP
(Deutschpunk, Hardcore Punk/ get it on Bandcamp! 2018)
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Die Wiener Punk-Haudegen Verrat haben sich einen politisch denkbar brisanten Zeitpunkt zur Veröffentlichung ihrer Debüt-EP ausgesucht. Zwischen DO und Staatsschweigen spielt das Quartett am Nabel der Zeit, was textlich durchaus reflektiert wird. Die Lyrics sind zwar ein wenig Punk-Standardkost, zwischen Polit-Verdrossenheit und Religionskritik, doch durchaus angemessen und zweckdienlich. Das Werk bietet auch jenseits der frustrierten Texte viel: Fetzige Drums sowie Halsbrecherriffs, die aber erfreulicherweise nicht die Melodie auf der Strecke lassen. Noch verwunderlicher (und erfreulicher): Es gibt wunderbare Solos! Auf einem Punk-Album! Ist das noch klassischer Punk? Das Outro von ,,Alle Gegen Alle” kommt mir melodischen Riffs und Blastbeats daher, die durchaus auch auf eine Black Metal-Platte passen würden, die Anfangs-Riffs auf ,,Terror und Krieg” könnten auch auf einer NWOBHM-Veröffentlichung sein. Auch die Vocals, die zwar hauptsächlich mit typisch drängendem Deutschpunk-Sound daherkommen, werden teils gekreischt oder gegrowled, manchmal auch zweistimmig. Ein erfrischend anderer Zugang zu ausgedientem Punk-Geklopfe, ,,Kälteschutz” anlegen und ab geht die Post!
Anspiel-Tipp: Geschichte Von Damals, Alle Gegen Alle, Schwach wie nie

Watsky

Watsky – Complaint
(Hip Hop / get it on Bandcamp! 2019)
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Der US-Rapper Watksy meldet sich gleich zu Beginn des Jahres 2019 mit einem seiner bislang unspektakulärsten Werke. Die Titel auf ,,Complaint” sind geplagt von belanglosen Melodien und übermäßig käsigen Texten, die allesamt eher an einen Klang, der Twenty One Pilots zu Gesicht stehen würde, erinnern. Die humoristischen, doch insgesamt gehaltvollen Texte, die man von Watsky gewöhnt ist, sucht man auf ,,Complaint” meist vergeblich. Zusätzlich bring der exzessive Gebrauch von Autotune auf der Platte mehr Schaden als Nutzen und trägt wenig zur Gesamtatmosphäre bei. ,,Complaint” präsentiert sich somit als Album, welches durchaus als Zeitvertreib gehört werden kann, mehr jedoch nicht.

Singles

Alligatoah

Alligatoah – Nicht wecken (Heute) / (Gestern) / (Vorgestern)
(Hip Hop, Comedy Rap / TP4L 2019)
+
Auf ,,Nicht wecken” zeigt Alligatoah wieder einmal seine Fähigkeiten als Texter, mit den für ihn typischen Wortspielen und Witzelein. Lyrisch wird hier das altbekannte und doch schwierige Thema des Sich-gegenüber-anderer-Leute-Öffnens angesprochen. Denn selbstverständlich möchte niemand als Schwächling oder Bürde angesehen werden, am aller wenigsten das Lyrische Ich. Der Titel wird zusätzlich – quasi als Gimmick – in drei Momente (bzw. unterschiedliche Songs, mit den Zusätzen ,,Heute”, ,,Gestern” und ,,Vorgestern”) unterteilt, jeder mit einem eigenen, aufeinander aufbauenden Beat. Kalibas prägnante Stimme wird durch die lieblichen Instrumental-Klänge nur zusätzlich unterstrichen, was in einer Art verdrehtem Schlaflieder resultiert. Hier wird ein weiteres Mal bewiesen, warum das ,,Duo” nach wie vor einen so wichtigen Platz in der deutschen Hip Hop-Szene inne hat.

Bilie

Billie Eilish – When I Was Older
(Alternative R&B, Electropop / Interscope 2019)
+
Nach Billie’s letzten zwei Singles “when the party’s over” und “come out and play”, die auf fantastische Weise die Vorlieben des Mainstreams und die der Musikfans fusionierten, waren die Ewartungen hoch.
Der Kommerz mag von dem mystischen und düsteren Pfad, den “When I Was Older” beschreitet, wenig begeistert sein, doch wir sind es umso mehr. Geradzu minimalistisch aber dennoch abwechslungsreich stellt die Instrumentalisierung den Schauplatz für Billies grazile, volle und ausdrucksstarke Stimme. Die Atmosphäre ist drückend und voller Spannung und macht neugierig auf weitere Veröffentlichungen.

Candlemass

Candlemass – Astorolus – the Great Octopus
(Doom Metal / Napalm Records 2019)
+
Die Rückkehr der schwedischen Band Doom Metal-Giganten klingt zukunftsträchtig. „Astorolus“ erzählt eine Geschichte eigen der lovecraftianischen Welt, begleitet von mächtigen Gitarren, tiefen Basslinien und den süßen, langsamen Melodien des Doom Metals. Die sehr scharf umrissene Produktion ist jedoch etwas antiklimatisch für jemanden, der verträumtere Melodien bevorzugt.

The Chemical Brothers

The Chemical Brothers  – MAH
(Acid House / Virgin EMI 2019)
+
Nach einem produktiven Jahr mit Tournees sowie der Veröffentlichung der Single ,,Free Yourself”, melden sich The Chemical Brothers mit einem neuen Lied zurück. Der Titel erinnert an die „Surrender“ – Platte aus 1999, somit an einen etwas agressiveren Sound. „Mah“ ist nicht nur eine sehr eingängige Nummer, sondern ein Versprechen, dass wir mit ,,No Geography” eine interessante und hoffentlich denkwürdige Platte erwarten können.

Squidward Nose

CupcakKe – Squidward Nose
(Pop Rap, Hardcore Hip Hop / get it online! 2019)
+
Zu flotten Reggaeton-Klängen (genannt Moombahton im Fachchargon) präsentiert Elizabeth Harris, besser unter ihrem suggestiven Künstlernamen CupcakKe bekannt, ihre neueste Vulgär-Hop-Nummer. Diese trägt den recht eindeutigen Titel ,,Squidward Nose”, benannt nach dem phallischen Riechkolben des mürrischen Bikini Bottom-Bewohners. Mit eben jenem möchte sich Madame CakKe auch lieber als mit dem Däumling des Liebhabers beglücken, aus dem einfachen Grund, dass ,,his dick smaller than my toes’‘ ist. Der Beat ist zwar flott und energiegeladen, aber auf die Dauer von drei Minuten gestreckt monoton und nicht sonderlich spannend, wünschenswert wäre hier eine weitere Bezugname auf die Spongebob Squarepants-Serie gewesen – alleine auf YouTube finden sich x Remixe und Reimaginations der ikonischen Melodien. Was allerdings sehr wohl gelingt ist das Texten selber. Gewohnt direkt, schlüpfrig, und ohne Blatt vorm Mund – Sätze, die sich jeder männliche Hip-Hopper ohne Weiteres erlauben könnte, bei der Chicagoerin allerdings nachwievor für Aufsehen sorgen. Denn, als Frau, darf sie denn das? Die sind doch sonst alle so zahm, mit Penisneid und so. CupcakKe ist wohl der Albtraum jedes schwanzschwingenden Macho-Rappers, Kastrationsängste und Vagina Dentata inklusive: ,,swallow this dick, it’s gone / he’s searching for it on Chrome” oder ,,ate his meat like a deli / don’t moan, you can spare me / ’cause your breath kinda smelly”.
Das CupcakKe polarisiert, ist nichts Neues, das ändert auch dieser Titel nicht. Ob die Rapperin schlichtweg Trash, wundervolle Satire oder gar ein Monument des Feminismus darstellt, muss wohl jeder für sich selber entscheiden. Kaum wegdiskutieren lässt sich aber, mit welchem textlichen Geschick diese humorvolle Anekdote über das Versagen des männlichen Geschlechts präsentiert wird.

EBOW

Ebow – Schmeck mein Blut
(Hip Hop / Problembär 2018)
+
So gut kann österreichischer Hip Hop sein! Wiens neue Sissi reißt auf ,,Schmeck mein Blut” ab, auf ganzer Linie. Auf aggressiven 02:48 wird kurz und schmerzvoll ausgeteilt, nach links und rechts, mehrsprachig und abgehackt. Hier wird Multinationalität zelebriert, ein bisschen Feminismus gibt’s als Bonus dazu. Wenn nicht gerade Mäuler gestopft werden, wird represented, was das Zeug hält: ,,Bruja / Meisterin am Mic / Voodoo”. Der Beat ist ein zurückgefahrener Industrial Hip-Hop-Stampfer, der die stimmlichen Dimensionen und den Fuck Off-Flow noch richtig zur Geltung bringen. Wir haben Blut geleckt, bitte 2019 mehr davon!

Lana

Lana Del Rey – hope is a dangerous thing for a woman like me to have – but I have it
(Singer/Songwriter, Chamber Pop / Polydor 2019)
SINGLE DER WOCHE

+
Lana Del Rey, die Meisterin der rosaroten Nostalgiebrille und der Sehnsucht an eine simplere hedonistische Vergangenheit, zeigt auf ihrer bereits dritten Single in Vorbereitung auf ihr neues Album weiterhin einen beeindruckenden Sinn für künstlerischen Art-Pop.
Wo vergangene Singles vorheriger Alben wie „Ride“ oder „Love“ einladende Hymnen für einen Roadtrip durch die sengende Sonne Kaliforniens boten, fängt „hope is a dangerous thing for a women like me to have – but i have it“ einen Moment emotionaler Klarheit ein. Der Song präsentiert sich als eine pure Klavierballade. Lanas emotionsgeladene Stimme gleitet mühelos über die dezenten Akkorde des Pianos, jedoch zeigt der lyrische Inhalt auf den riesigen Abgrund unter ihr. Das Retro-Image und die lasziven Untertöne ihrer üblichen Songs brechen auf „hope is a dangerous thing….“ weg für einen persönlichen, so wie zeitlosen Ausdruck was es bedeutet eine reflektierte Frau zu sein.
Besonders in der aufsteigenden Tonfolge des Chorus spiegelt sich der triumphale Moment der emotionalen Klarheit wieder nur um an dessen Ende wieder in die Tiefen zu zeigen. Jedoch nur bis zum Finale, in dem Lana Del Reys fast gehauchte Kopfstimme einen emotionalen Klimax erreicht, der unweigerlich Gänsehaut kreiert.

Lil Pump

Lil Pump – Butterfly Doors
(Trap Rap / get it online! 2019)

Im Idealfall ist Lil Pump eine Hook-bringende Stimme, die auf der endlosen Welle an Bangern reitet, für jene, denen die Soundcloud-Rap Bewegung bekannt ist. Auf seinen besten Songs fräst der 18-Jährige seine hedonistischen Mitgröl-Lyrics mit mächtigen Beats in die Gehirne der Hörerschaft. Auf „Butterfly Doors“ bringt er jedoch weder einen kraftvollen Beat, noch einen eingängigen Hook, sondern recycelt einfach seinen Durchbruchshit „Gucci Gang“ auf die vorstellbar langweiligste Art. Die zerfahrene Melodie des Beats klingt billig und gibt dem Song keinen eingängigen Leitfaden. Der Bass, der auf einem Soundcloud-Rap Song üblicherweise bis zu erderschütternden Maßen geboostet und verzerrt ist, klingt dünn und flach. Lil Pump selbst bringt weniger Energie in den Song, als ein verkaterter Student in eine Montagsvorlesung um Acht-Uhr. Es ist absolut hörbar, wie wenig Motivation in „Butterfly Doors“ gesteckt wurde und so löst der Track auch absolut keine aufputschenden Gefühle aus. Man stellt sich einfach nur dieselbe Frage, die sich auch der verkaterte Student stellt: Wieso höre ich mir das überhaupt an?

Mortis

Mortis Chandu feat. Tranka – Keine Monetas
(Hip Hop / Easy Go Records 2019)
+
Der Wiener Rapper Mortis Chandu zeichnet auf ,,Keine Monetas” ein karges Bild. Ein exzellent eingefädeltes Storytelling über Hoffnungslosigkeit, Frustration und die Beschwerlichkeiten der Existenz, wird über den unaufdringlich minimalistischen Pianobeat gelegt, der ebenso wie das Leben des Lyrischen Ichs dahinplätschert. Melancholie als Lederjacke, die unausweichliche Gewissheit des ewiggleichen Trotts, die Sorgen ob der nächsten Tage, die kühle Umarmung der Depression und Hilflosigkeit, all das ist gegenwärtig auf ,,Keine Monetas”. Entwaffnend ehrlich und ohne hinderlichen Tand gibt Mortis Chandu Einblicke in das Leben am Existenzminimum. Featuregast Tranka (der teilweise überraschend passende Dialekt-Passagen dabei hat) führt die selbe Perspektive ebenso stimmungvoll weiter: ,,I bin arbeitslos und broke / das Schlimme an der Gschicht / I bin nix anderes gewohnt”. Doch durch all den Schwermut zieht sich wie die helle Pianomelodie auch die Hoffnung auf Perspektive und Sicherheit: ,,cool bleiben / das ist halt mit dem Karma so / positiv denken / auch die Scheine sind farbenfroh” – ,,doch am Ende wird alles perfetto”. Ein introvertierter und unheimlich stimmungsvoller Track.

Nura

Nura x Remoe – SOS
(Alternative R&B, Hip Hop / 2019)
~
Schade um SXTN, doch der R&B-Sound steht der Berliner Rapperin gut. Ein Titel über “casual sex” und “friends with benefits” ist sicherlich ein relevantes Thema im Tinder-Zeitalter. Textlich ist da noch viel Luft nach oben. Zeilen wie ,,Liebe brauch ich nicht / will nur Sex, Babe / kann mich verbiegen, wie du willst / für unser Sextape” erinnern auf ungute Weise an Katja Krasavices Müll-Nummer ,,Doggy” (Vgl. YouTube-Kanalisation: ,,Doggy ist mein Hobby / du weißt, dass ich Sex will / es wird jetzt wild / so wie im Sexfilm). Allerding, anders als Krasavice, die in etwa so sinnlich wie ein Prügel Holz ist, funktioniert Nuras Stimme perfekt auf L’amour-Hatschern, wie ,,SOS” einer ist. Wie da teilweise ins Micro gehaucht wird, ist wunderbar anzuhören. Das Feature von Remoe – bereits die zweite Zusammenarbeit der beiden Künstler nach der 2018er-Nummer ,,Nackt”, die ebenfalls mit gewissen Schmuddel-Charm daherkam – fühlt sich ein wenig nach Discount-Weeknd an, der nicht genug von dem Wort ,,Pussy” bekommen kann. Subtilität und Show-Don’t-Tell-Texte sucht man hier vergeblich. Auch der Refrain, ,,weil ich dich bumsen will”, erinnert ein wenig an die textlichen Dimensionen und Wortschatz eines Unterstufen-Schülers, der sich das erste Mal unbeholfen an Sexting versucht – Erotik-Faktor gleich Null. Was für einen Titel, der eindeutig auf Beischlafbegleitung (oder zumindest Initiation) ausgelegt ist, eigentlich ein Armutszeugnis darstellt. Die eingängige Träumer-Melodie und der Repeat-Refrain – egal wie doof der Text da auch sein mag – sorgen aber dafür, dass man diese Nummer so schnell nicht mehr los wird.

Pissgrave – Euthanasia
(Death Metal / Profound Lore 2019)
+
Nein, das Soundsystem ist nicht hinüber, der Track klingt so kaputt. Die US-amerikanische Filth Metal-Instanz Pissgrave präsentiert mit ,,Euthanasia” eine Nummer, die genauso klingt, wie der Bandname vermuten lässt: Dreckiger als eine Venue nach einem Pissgrave-Gig, distorted bis zum Anschlag, mit ekelerregendem Artwork (das schon eher an Goregrind als an Death Metal denken lässt), dafür aber mit genug Riffs und Drum-Geklopfe, um auch den letzten Gehörgang zu schreddern. Besondere Beachtung sollte den Vocals zukommen, die irgendwo zwischen Halsschmerzen und Stimmbandriss einzuordnen sind. Was genau Tim Mellon da ins Mikrofon kotzt interessiert bei solcher Gitarrenarbeit sowieso niemanden mehr. Was für eine wunderbar dreckiger Death Metal-Nummer!

Subway

Subway To Sally – Imperator Rex Graecorum
(Medieval Folk Metal / Nuclear Blast 2019)
+
Eine sehr ungewöhnliche Mischung bringt Subway To Sally auf ,,Imperator Rex Graecorum”. Traditionsbewusst einerseits, wohl um langjährige Fans mit ins Boot zu holen, es gibt Latein, hurra! Gab es auch schon zwanzig Jahre früher auf ,,Bannkreis”. Der Subway To Sally-Klang wird etwas industriell aufpoliert, aber, keine Sorge, die Violine ist hier, um den Tag zu retten. Der elektronische Einschlag von ,,MitGift” wurde etwas zurückgefahren, dafür – kann man seinen Ohren hier wirklich trauen? – wird doch tatsächlich Kanye West gesampled. ,,Black Skinhead” tönt gleich zu Beginn und an diversen Stellen erneut aus den Boxen. Eigentlich schade um die gelungene Verwendung des Titels, denn die Klänge dürften den Wenigsten innerhalb der Szene bekannt sein. Ausgerechnet Mr. West zu samplen ist schon mutig. ,,Irgendwo im Songwriting falsch abgebogen” meinen skeptische Fans. Tatsächlich stellt ,,Imperator Rex Graecorum” aber eine durchaus mutige Entscheidung dar, sich weiterzuentwickeln, gekonnt Altes mit Neuem zu verbinden, und trotz Unkenrufen die Fortschritte der vorherigen Platte nicht ganz zurückzunehmen.

Yasmo

Yasmo & Die Klangkantine – Mach, mach, mach
(Hip Hop /Ink Music 2018)
+
Yasmo strikes back, mit Single und Album, letzteres wird es wohl im Frühjahr zu hören geben. Die Masterin of Ceremony und Poetry Slam-Veteranin textet wie gewohnt souverän über klangvolle Instrumentals. Die Klangkantine liefert ihr hier einen flotten Beat mit Blechbläsern, wie nur sie es können. Die rasante Nummer trägt und motiviert einen genau so wie die dazupassenden Mach-was-Lyrics. Ein wunderbarer Empowerment-Track, gegen toxische Beziehungen und absichtlich gelegte Stolpersteine, dafür mit jeder Menge Motivation und Mutmacherzeilen. Gegen das Wintertief hilft der Titel auf jeden Fall, das können wir aus eigener Erfahrung bestätigen. Wie immer: Tausend Liebe dafür!