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Regel Numero 1: den Standpunkt immer deutlich werden lassen! Das hier ist kein Reisebericht über die kulturelle Stadt von Welt, im Volksmund auch Berlin genannt. Obwohl ich aus Österreich komme, bin ich hier nämlich nicht als Tourist unterwegs, welche nebenbei bemerkt unter den Einheimischen wenig bis gar keine Popularität genießen.

Nein, ich verbringe drei Monate meines Lebens in diesem Großstadtdschungel, weil ich hier arbeite. Genauer gesagt absolviere ich ein Praktikum. In Wien wollte niemand eine Publizistikstudentin im fortgeschrittenen Stadium mit mäßiger Berufserfahrung einstellen. So gesehen bin ich also ein Wirtschaftsflüchtling. (Wenn das mal jemand dem Herrn Strache verraten würde…) Jedenfalls lebe ich das restliche Jahr 2015 im Kreuzberger Kiez und teile meine bisweilen noch spärlich vorhandenen Eindrücke der letzten Wochen mit euch in einer Reportage-Reihe.

Berlin vs Vienna

Regel Numero 2: Keine Infos aus der Gerüchteküche beziehen!

Als unleugbares Austro-Landei sehe ich es als meine Pflicht, einige Klischees und Gerüchte um die Deutschen zu entkräften – und das eine oder andere auch zu bestätigen. Seit eh und je herrscht angeblich dicke Luft zwischen Österreichern und Deutschen. Ja, bekanntlich ist die Beziehung der Pifken zu den Ösis nicht die harmonischste. Weiß Gott, woher diese Behauptungen stammen und welche Gründe dahinter stecken. Es heißt sogar, dass die Völker einander nicht ausstehen können. Nun ja, Karten auf den Tisch – wie oft hört man in Wien schon jemanden den Satz “Ach herrje, heute hab’ ich so einen netten Deutschen kennengelernt!” sagen? Falls ihr euch jetzt fragt, ob in Berlin die bloße Existenz eines Österreichers irgendwo auf der Welt ebensolche Nervenaufreibung auslöst: Nein. Die Menschen in Berlin sind anders als sonst wo auf der Welt – auch den stereotypischen Pifke sucht man hier vergebens. Ehrlich. Zwar trifft man nur selten auf einen waschechten Berliner, der hier geboren und aufgewachsen ist, aber in einer Großstadt ist dies wohl kaum eine Seltenheit. Eine Seltenheit hingegen ist diese durchdringende Freundlichkeit, mit der hier einem fast überall begegnet wird. Die Uhrzeit spielt dabei keine Rolle. Um halb sieben Uhr morgens sind die Bäcker genauso gut gelaunt wie um die Mittagszeit oder um halb elf Uhr abends. Die Begrüßungen reichen dabei von “Moin’ “, “Alles jut?” bis hin zu “Juten Tach!”. Ich weiß zwar nicht, wie es euch geht, aber bei Gottes Gnade habe ich mich noch nie getraut, einem wienerischen Arbeiter nach einer Zwölf-Stunden-Schicht einen bösen Blick zuzuwerfen geschweigedenn ihn anzumotzen. Das Kuriose an der ganzen Sache? Die Berliner sehen sich selbst als unfreundliche und mürrische Zeitgenossen im Vergleich zu den Wienern.

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Regel Numero 3: In der U-Bahn herrschen andere Gesetze!

Nun fällt wieder das Stichwort “Großstadtdschungel”. Eine passende Metapher. Nähert man sich einem sogenannten U-Bahnhof, so sollte man alles, was ich gerade über die warmherzigen und gutmütigen Berliner erzählt habe, gleich wieder vergessen. Sobald sich die Pforten (mit den hässlichen Brandenburger Tor-Motiven) zum Wagon öffnen, verwandelt sich ein beträchtlicher Anteil der Leute in Primaten. Der Berliner Zugführer hat nämlich eine etwas ungemütlichere Mentalität, als der Wiener. In Österreich ist es üblich, dass der Zugführer die U-Bahntüren erst schließt, wenn sich alle Passagiere im Wageninneren befinden. Dies dauert in Wien halt eine Weile, wenn sich eine große Menschenmenge versucht in die Wagons zu quetschen. In Berlin hingegen interessiert es den Fahrer herzlich wenig, ob alle Gäste einsteigen oder nicht. Hier gibt es ein kleines Zeitfenster, in dem der absurd riesige Menschenhaufen in die winzigen Kabinen einsteigen kann. Wer reinkommt, hat Glück – und der Rest eben Pech. Natürlich hat der kapitalistisch veranlagte Mensch im Informationszeitalter keine Zeit dafür, volle drei oder gar vier Minuten auf die nächste U-Bahn zu warten und deshalb herrscht an den Bahnhöfen ständig ein Gedrängel, als ob glühende Lava aus dem Boden hervortreten würde. Das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist ein lästiges Unterfangen, welches dann und wann in mir den Wunsch auslöst, irgendwen vor die U-Bahn anstatt hinein zu stoßen.

Solange man sich nicht in einem U-Bahnhof befindet, sind die Berliner aber nach wie vor äußerst liebenswert. Man sollte nur darauf Acht geben, wo man nachts unterwegs ist. Bei Anbruch der Dunkelheit kriechen gelegentlich zwielichtige Gestalten aus ihren Höhlen, um naive und unwissende Leute zu beklauen. Das heißt nicht, dass man sich nachts nicht allein auf die Straße trauen sollte, aber es ist gewiss kein Fehler, seine Augen und Ohren offen zu halten. Kleiner Hinweis: Wird man von einem Typen aus einer Gruppe angequatscht, wird man sehr wahrscheinlich gerade ausgeraubt. Eine Konversation soll einem davon ablenken, dass die Hand des anderen Kerls gerade in der eigenen Tasche steckt.

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Natürlich muss es nicht zwangsläufig sein, dass man von Fremden ausgeraubt wird. In Berlin kommt es tatsächlich auch vor, dass man netten Leuten begegnet, die einfach nur ein bisschen plaudern möchten. Wo ihr ganz bestimmt nicht ausgebeutet werdet? Definitiv in der U55. Bestehend aus drei Stationen – Hauptbahnhof, Bundestag und Brandenburger Tor – scheint diese Linie frei von jeglichem Sinn oder Zweck zu sein. Hier wird man mit Sicherheit nicht Opfer eines Verbrechens. Dies hat zwei Gründe. Erstens, fährt kein Berliner mit der U55. Hier irren bloß von Zeit zu Zeit ein paar Touristen mit ihren Stadtplänen umher. Man fährt einfach nicht mit dieser Linie; das ist der zweite Grund. Just don’t do it.

Regel Numero 4: Deutsch ist nicht gleich Deutsch!

Während meines Aufenthalts in der deutschen Hauptstadt ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, wie wenig ich eigentlich meiner eigenen Muttersprache mächtig bin. Niemals hätte ich mir auch nur ansatzweise erträumen lassen, wie sehr sich österreichisches Deutsch von deutschem Deutsch unterscheidet. Der Berliner legt sich nicht nieder, wenn er müde ist. Nein, er geht schlafen. Er geht auch nicht rauf, sondern hoch. Und auf den Dezember folgen der Januar und der Februar anstelle von Jänner und Feber.

Die eben angeführten Beispiele bilden nur die Spitze des Eisbergs. Für große Verwunderung an meinem Arbeitsplatz hat der Ausdruck “heuer” gesorgt. Einem verdutzten Gesichtsausdruck meiner Kollegen folgte ein leichtes Kopfschütteln und ein amüsierter Lacher. “Heuer ist total österreichisch, sowas sagt man hier nicht. Das geht maximal in Bayern durch”, hat mich meine Kollegin aufgeklärt, als ich den Begriff in einem Artikel integriert hatte. Ich nickte bloß wortlos und tat, als würde ich diese Anspielung verstehen. Zu Beginn fand ich es ja ganz witzig, wenn mir ein schiefer Blick aufgrund meiner Ausdrucksweise zugeworfen wurde. Auf Dauer kann das allerdings auch ganz schön frustrierend sein zu wissen, dass man anders als der Rest seines Umfeldes ist – um nicht gar zu sagen zwider. Die Anwendung diesen Ausdruckes habe ich mir deshalb bisher erspart. Solche sprachlichen und kulturellen Begegnungen muss man einfach mit Humor nehmen, denn so hat man hin und wieder etwas, worüber man gemeinsam mit seinen deutschen Kollegen lachen kann. Folgendes Beispiel möchte ich euch nicht vorenthalten: Ausrasten. Ein Bekannter warf mir einen erschreckten Blick zu, als ich ihm mitteilte, dass ich müde bin und daher ausrasten möchte.

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Wenn ich in den letzten Wochen etwas gelernt habe, dann dass Deutschland und Österreich zwei Länder sind, die in ihren Lebensstil und ihrer Kultur kaum unterschiedlicher sein könnten. Im Großen und Ganzen gibt es zwar gewiss Gemeinsamkeiten, doch es sind die kleinen Details, welche nicht immer am ersten Blick erkennbar sind, die Berlin unverwechselbar, einzigartig machen. Manchmal fühle ich mich zwar in dieser riesigen Stadt verloren, doch die schönen Momente überwiegen eindeutig und machen dies wieder wett. Und zum Glück laufen in der Hauptstadt genügend Bayern durch die Gegend, die einem ein kleines Stück Heimat inszenieren. Ein Bekannter hat mich kürzlich mit einer Weisheit belehrt, welche ich ohne zu zögern bestätigen kann: “Wer einmal nach Berlin geht, kommt immer wieder zurück.”